Iconic Turn - Vorlesungen - 2003 Sommer

 
 
 

Vorlesungen im Sommersemester 2003

Vom Sommersemester 2002 bis zum Wintersemester 2004/05 fand an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität in Erinnerung an den verstorbenen Felix Burda-Stengel die Vorlesungsreihe "Iconic Turn - das neue Bild der Welt" statt. Der erste Teil der Reihe wurde 2004 in Buchform “Iconic Turn - Die neue Macht der Bilder” veröffentlicht und ist beim DuMont Verlag erhältlich.

Iconic Turn - Felix Burda Memorial Lectures: 2004/05 Winter - 2003 Sommer - 2002/03 Winter - 2002 Sommer

Iconic Turn - Felix Burda Memorial Workshops: 2002 Sommer

Prof. Dr. Willibald Sauerländer (Referent)
Professor für Kunstgeschichte, Kunstkritiker, München,

10.07.2003, 19:00 Uhr
Audimax der LMU München, Geschwister-Scholl-Platz 1

Iconic Turn? Eine Bitte um Ikonoklasmus

Das wissenschaftliche Projekt der traditionellen "Kunstgeschichte", deren Diskurs ästhetische mit historischen Kriterien verflochten hat, beruhte auf einer stillschweigenden Verabredung über Wesen und Grenzen von "Kunst".

Diese Verabredung war seit je brüchig, und niemals im strengen Sinne abgesichert. Sie erscheint vollends als obsolet seit im Zeichen der "Visual Studies" und des "Pictorial Turn" eine Bildwissenschaft gefordert wird, welche sich mit allen Bildern beschäftigen soll und welche die traditionelle "Kunstgeschichte" nur noch als eine Art Subdisziplin integrieren würde.

Dieses Projekt einer universellen Bildwissenschaft wird in einer Situation entworfen, in der die Suggestivkraft global verbreiteter Bilder für die öffentliche Verständigung, im Warentausch und für die Steuerung der öffentlichen Meinung eine immer größere Wirkung entfaltet und in weiten Bereichen die sprachliche Argumentation und ds vernünftige Raisonnement in der Zivilgesellschaft überblendet. Die Macht über die Bilder auf der elektronischen Agora ist zu einem öffentlichen und politischen Problem geworden, und damit kehrt auch das alte Thema des Bilderstreits in die Diskussion zurück.

Diese neue öffentliche Wirkung von Bildern, welche nicht als Kunst angesehen werden, fordert auch die traditionelle "Kunstgeschichte" in die Schranken. Sie wird durch das Projekt einer allgemeinen Bildwissenschaft vor eine Entscheidung gestellt. Verweigert sie sich, so wird sie als eine dem Gestern verhaftete Geisteswissenschaft marginalisiert und historisiert werden. Konkurrierende Disziplinen werden ihr die Bilder stehlen, ein Prozess, der längst im Gange ist. Löst sie sich umgekehrt ohne Vorbehalt in eine allgemeien Bildwissenschaft auf, wie sie das hier und dort schon zu tun scheint, bringt "Kunstgeschichte" sich um ihr ureigenstes Argument, daß Bilder als Kunstwerke nicht nur unterhalten, informieren und verführen, sondern ein Moment der Reflexion enthalten. Zu wünschen wäre, daß die Kunstgeschichte einen dritten Weg einschlüge, daß sie im Sinne eines "historia docet" ihr Wissen um die Konstruktion der alten Bilder und deren soziale Wahrnehmung in den Diskurs über die Wirkung und Wahrnehmung von Bildern in der heutigen Öffentlichkeit einbrächte. Damit könnte sie eine Art krtischen Ikonoklasmus entfalten und angesichts der vielen Bilder, welche die Menschen zu bloßen Zuschauern und Konsumenten degradieren, für die ästhetische Mündigkeit der Bürger in der neuen Videokratie eintreten.


Prof. Dr. Wolfgang Heckl (Referent)
Professor für Nanotechnologie, LMU München Department für Geo- und Umweltwissenschaften Bereich Kristallographie

03.07.2003, 19:00 Uhr
Große Aula der LMU München, Geschwister-Scholl-Platz 1

Das Unsichtbare sichtbar machen - Nanowissenschaft als Schüsseltechnologie des 21. Jahrhunderts

Am Beginn des neuen Jahrtausends werden in den Forschungslabors die Grundlagen für eine Technologie gelegt, die die Schaffung völlig neuer, für das bloße Auge unsichtbarer Welten in greifbare Nähe zu rücken scheint. Die mit dem Nobelpreis gekrönte Erfindung des Rastertunnelmikroskops durch Gerd Binnig und Heini Rohrer hat es uns zum ersten mal erlaubt, die lange vermutete, aber nie gesehene atomare Struktur der Materie direkt sichtbar zu machen. Die auf der Skala von Milliardstel Meter verborgene Welt der Quantenmechanik wird direkt erfahrbar, ja noch mehr, direkt beeinflussbar. Dies zeigen unsere Experimente der mechanischen Bewegung von einzelnen Molekülen. Wie man Atome nicht nur sehen, sondern ihre kristallographische Anordnung auch zum ersten Mal hören kann, wird durch unser von der Andrea von Braun Stiftung angeregtes Projekt „Atomare Klangwelten“ erstmals öffentlich vorgeführt.

Welche Chancen und Risiken mit der Nanotechnologie verbunden sind, und wie diese Querschnittstechnologie unser zukünftiges Leben beeinflussen könnte, soll an Hand von Beispielen aus den Bereichen Material- und Lebenswissenschaften diskutiert werden. Dabei wollen wir dem Aufruf von Richard Feynman folgen, der schon in den fünfziger Jahren vorhersah: „there is plenty of room at the bottom – an introduction to enter a new world of physics“.

Die heute erst in Ansätzen erkennbare Nanotechnologie wird die Schlüsseltechnologie des 21. Jahrhunderts sein. Unter Nanotechnologie versteht man die direkte Sichtbarmachung, die Kontrolle und die Beeinflussung von Materie auf der Nanometerskala, d.h. bis hinein in den Größenbereich von Proteinen, Molekülen und einzelnen Atomen.


Bill Viola (Referent)
Videokünstler

30.06.2003, 19:00 Uhr
Große Aula der LMU München, Geschwister-Scholl-Platz 1

Video Art, Sense Perception and Human Experience


Prof. Dr. Barbara Maria Stafford (Referent)
Professorin für Kunstgeschichte, Unviversity of Chicago

26.06.2003, 19:00 Uhr
Große Aula der LMU München, Geschwister-Scholl-Platz 1

Towards a Cognitive Image History: From Iconic Turn to Neuronal Aesthetics


Prof. Dr. Heinz Otto Peitgen (Referent)
Professor für Mathematik und Biomedizinische Wissenschaften, Universität Bremen und Florida Atlantic University

05.06.2003, 19:00 Uhr
Audimax der LMU München, Geschwister-Scholl-Platz 1

Ordnung im Chaos - Chaos in der Ordnung Risse im mathematisch-naturwissenschaftlichen Weltbild

"Chaosforschung – das interessanteste Forschungsgebiet, das es gegenwärtig gibt. Ich bin davon überzeugt, dass die Chaosforschung eine ähnliche Revolution in den Naturwissenschaften bewirken wird, wie es die Quantenmechanik getan hat."
Gerd Binning (Nobelpreisträger für Physik)

Die statischen und dynamischen Phänomene der belebten und unbelebten Natur werden durch Myriaden von Prozessen gesteuert. Von der Antike bis Ende des 17. Jahrhunderts werden die meisten der beobachtbaren Naturphänomene der Domäne mystischer Gesetze oder der Domäne des Chaos zugerechnet. Fassbare Regeln und Gesetze werden für unmöglich gehalten und bekannte Gesetze scheinen nicht zu gelten.

Beginnend mit Keppler und Newton tritt eine fundamentale Wandlung und neue Entwicklung ein. Die Mathematik verbindet sich mit den Naturwissenschaften und erweist sich als erstaunlich erfolgreiche und produktive Sprache für ihre Gesetze und Regeln. Schrittweise lichtet sich das Chaos und es scheint nur eine Frage der Zeit, bis alle Naturphänomene gesetzmässig erfasst sein werden, bis mathematische Ordnung das mystische Chaos vollständig verdrängen kann. Von den grossen Fragen der Entstehung und der Eigenschaften des Cosmos bis hin zu den Fragen, wie die kleinsten Bausteine der Materie zusammenwirken, entstehen im 19. und 20. Jahrhundert geniale Theorien, die den Glauben an eine mathematische Hand hinter allen Phänomenen immer entschiedener festigt.

Die universelle Gültigkeit dieses aus der unbelebten Natur stammenden Fahrplans für die endgültige Entmystifizierung der Natur und ihre schnell nachfolgende technische Unterwerfung scheint sich in den atemberaubenden Entdeckungen im Zusammenhang mit dem genetischen Code auch in der belebten Natur zu bestätigen. Die jüngsten Verheissungen der Gentechnologie liefern einen drastischen Beleg dafür, wie sich ein naturwissenschaftliches Weltbild umfassend anmasst, Gott in die Räder greifen zu können. Hörte man in den 1980er Jahren Prophezeiungen, wonach bald Wetter, Klima und Kriege mathematisch beherrschbar und zu unseren Gunsten manipulierbar sein werden, hören wir heute, dass Lebewesen entsprechend einer Wunschliste machbar sein sollen. Dieses Bild einer grenzenlosen Unterwerfung der Natur bedeutet nichts anderes als die vollständige Verdrängung des Chaos und des Zufalls aus der Natur. Es wird getragen durch die übergreifende Rolle der Mathematik in allen Naturwissenschaften.

Die Chaostheorie setzt gegen dieses umfassende, ausschliessliche mathematische Weltbild einen Kontrapunkt. Die wesentlichen Entdeckungen der Chaostheorie zeigen ein anderes Bild von Natur, das in Harmonie mit den gesicherten mathematischen Errungenschaften zu sehen ist: Sie machen uns mit mathematischer Präzision und Gültigkeit klar, dass selbst dort, wo strenge Gesetze sogar ohne jeden Einfluss von Zufall wirken, die exakte Kenntnis dieser Gesetze uns dennoch nicht erlaubt, praktische Vorhersagen zu treffen. Dies heisst, dass das in der Tat immer feinmaschiger werdende Netz, das Natur in Mathematik abbildet und kodiert, so etwas wie prinzipielle schwarze Löcher hat und für immer behalten wird.

Einen weiteren Kontrapunkt setzt die Chaostheorie gegen das verbreitete Paradigma der Kernphysik, Molekularbiologie und Gentechnologie, dass das Ganze aus dem Verständnis der Teile erschlossen werden kann. Mit mathematischer Präzision belegt die Chaostheorie, dass das Ganze mehr ist als die Summe seiner Teile.

Eine erstaunliche Eigenschaft natürlicher Muster und Strukturen besteht schliesslich in der Tatsache, daß ihr Entstehungsprozess stets einer gehörigen Portion Zufall ausgesetzt ist. Und doch entstehen immer wieder die gleichen Muster und Strukturen in makelloser Regelmässigkeit und Stabilität, gerade so, dass es schwerfällt zu glauben, dass Zufall überhaupt präsent war. Erkenntnisse aus der Chaostheorie haben die Sicht der Dinge fundamental verändert. Es gibt eine Reihe neuer Ergebnisse, die auf die grundlegende sowie notwendige Rolle von Zufall in der bemerkenswerten Stabilität und Reproduzierbarkeit der Muster der Natur hinweisen.

Der Vortrag präsentiert die Rolle der Chaostheorie an leicht zugänglichen Beispielen, unterstützt durch Computerexperimente und Live-Experimente, und diskutiert Anwendungen in Medizin und Technik.


Stephan Braunfels (Referent)
Architekt, Stephan Braunfels Architekten, München

22.05.2003, 19:00 Uhr
Große Aula der LMU München, Geschwister-Scholl-Platz 1

Die europäische Stadt und die moderne Architektur

Die europäische Stadt, eine der größten kulturellen Entwicklungen der Menschheit, wurde im 20. Jahrhundert angegriffen und beschädigt wie nie zuvor, wobei den Zerstörungen des zweiten Weltkriegs heftige intellektuelle Angriffe der bedeutendsten Architekten der Moderne vorausgingen.

Die Zerstörung der europäischen Stadt wurde in den zwanziger Jahren geistig vorbereitet durch Schriften und Pläne von Architekten wie Le Corbusier und Gropius, die dann beim Wiederaufbau der kriegsbeschädigten Städte in den fünfziger und sechziger Jahren umgesetzt wurden.

Dem Ideal der europäischen Stadt als hochkomplexes Raum- und Sinngefüge, wie es in den mittelalterlichen Städten der Toskana entwickelt und in den Großstädten des 19. Jahrhunderts vollendet wurde, steht die moderne Architektur scheinbar unversöhnlich gegenüber.

Während in der europäischen Stadt das einzelne Gebäude immer Teil eines größeren Gesamtzusammenhangs ist und der öffentliche Raum – Platz und Strasse - die Hauptrolle spielt, entwickelt die moderne Architektur autonome Solitärbauten, welche sich jedem städtebaulichen Zusammenhang verweigern.

Die bedeutendsten Bauten des 20. Jahrhunderts sind freistehende Großskulpturen auf der grünen Wiese, welche sich einem städtischen Gesamtzusammenhang geradezu autistisch entziehen.

Der Konflikt zwischen der europäischen Stadt und der modernen Architektur wurde für Stephan Braunfels zum Hauptthema seiner städtebaulichen und architektonischen Entwürfe.

1950 – in der Mitte des 20. Jahrhunderts geboren – lernte er in seiner Kindheit nicht nur die toskanischen Städte sondern auch die bedeutendsten Bauten von Le Corbusier und Mies van der Rohe kennen.

In seinen späteren Entwürfen für München, Dresden und Berlin versuchte er den scheinbaren Antagonismus zwischen dem städtischen Raum und der architektonischen Einzelgebärde aufzulösen und das historische Erbe dieser Städte in modernen architektonischen Großstrukturen wiederzubeleben.

Die Pinakothek der Moderne in München, das Leitbild für den Wiederaufbau der Dresdner Innenstadt, die Bauten für den Deutschen Bundestag im Berliner Spreebogen sowie sein jüngstes Projekt für den Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses als Ausgangspunkt für eine völlige Neugestaltung der Mitte Berlins sind Beispiele für sein Anliegen, die europäische Stadt mit der modernen Architektur zu versöhnen.


Stefan Heidenreich (Referent)
Kunst- und Medienwissenschaftler, Humboldt-Universität zu Berlin

19.05.2003, 19:00 Uhr
Große Aula der LMU München, Geschwister-Scholl-Platz 1

Revolution der modernen Kunst - was hat die Fotografie damit zu tun?

1839 präsentiert der Physiker Arago das fotografische Verfahren von Nièpce und Daguerre der Öffentlichkeit. Dreissig Jahre später greifen die Wellen der Seine in den Bildern von Monet und Renoir auf Bäume und Wolken über. Kurz nach der Jahrhundertwende beginnt die Avantgarde, die Abbildung sichtbarer Welt vollends einzustellen.

In der Mitte des 19. Jahrhunderts blieb das Verhältnis zwischen Fotografie und Malerei lange strittig. Der Streit um das Verhältnis der fotografischen Bilder zu denen der Kunst wurde vor Gericht, bei Ausstellungen und in Museen ausgefochten. Er betraf die Konkurrenz um Rechte, Motive, Publikum und Märkte.

Am Ende gibt die moderne Malerei die Funktion der Abbildung auf, sichert sich aber die Institution des Museums. Seit ihrer Gründung ordnen das Museum die Kunst nach Epochen und Stilformen, also nach der Zeit. Auf nichts anderes zielt der Begriff “modern”: das Neue im Unterschied zum Alten. Die Moderne erkauft die Freiheit der Malerei mit einer Unterwerfung unter eine museale Ordnung der Zeiten und Stile. Sichtbare Welt abzubilden bleibt anderen Medien überlassen, zuerst der Fotografie, dann dem Film. Die Selbstreferenz der Moderne hat zwar den Kosmos der Kunst in sich bestärkt, aber auch dazu geführt, dass Bilder, die die Welt berühren, nicht mehr von Künstlern gemacht werden.

Mit der Kluft zwischen der Kunst und den Bildern steht auch die Kompetenz der Kunstwissenschaften in Frage, das Fundament einer zeitgenössischen Bildtheorie noch formulieren zu können. Dass man heute keine Wissenschaft kennt, die sich den Bildern unserer Gegenwart in ihrer vielfältigen Gesamtheit widmet, hat viel mit dem Verhältnis von Fotografie und Malerei und der Revolution der Moderne zu tun.