Iconic Turn - Vorlesungen - 2002/03 Winter

 
 
 

Vorlesungen im Wintersemester 2002/03

Vom Sommersemester 2002 bis zum Wintersemester 2004/05 fand an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität in Erinnerung an den verstorbenen Felix Burda-Stengel die Vorlesungsreihe "Iconic Turn - das neue Bild der Welt" statt. Der erste Teil der Reihe wurde 2004 in Buchform “Iconic Turn - Die neue Macht der Bilder” veröffentlicht.

Iconic Turn - Felix Burda Memorial Lectures: 2004/05 Winter - 2003 Sommer - 2002/03 Winter - 2002 Sommer

Iconic Turn - Felix Burda Memorial Workshops: 2002 Sommer

Prof. Dr. Peter Weibel (Referent)
Vorstand des ZKM, Zentrum für Kunst und Medientechnologie, Karlsruhe, Moderation des Vortrags von Prof. Dr. Jean Baudrillard am 17. Januar 2005

Vortrag am 30.01.2003 gemeinsam mit Prof. Dr. Anton Zeilinger, Institut für Experimentalphysik, Wien

30.01.2003, 19:00 Uhr
Aula, Ludwig-Maximilians-Universität, Geschwister-Scholl-Platz 1

Ortlosigkeit und Bilderfülle - Fernwirkung und Ferngesellschaft

Das Bild war ursprünglich an einen Ort gebunden (Höhlenmalerei/Fresko). Durch die Erfindung des Tafelbildes wurde das Bild mobil und transportabel, durch die Erfindung von Drucktechniken wurde das Bild vervielfältigbar. Hinter dem Begriffspaar Mobilität und Multiplikation versteckt sich der Kampf zwischen Nähe und Ferne. Deshalb die prekäre Definition der Aura von Walter Benjamin als "einmalige Erscheinung einer Ferne, so nah sie sein mag". Im Verschwinden der Aura zeigt sich der Bruch zwischen Nah- und Ferngesellschaft. Zur Einheit von Raum und Zeit gehört das Original als Singularität, als etwas, das nur einmal in Raum und Zeit existiert, hier und jetzt. Durch die Logik der Distribution (Mobilität und die Multiplikation) wurde das Bild aus der Aura der Nahgesellschaft in die Ferngesellschaft expediert. Sie entbirgt die Logik der Dislokation, die Aufhebung der Macht des Ortes.

Durch die Übertragung von Bildern (Telegraphie, Fernsehen) entstand die eigentliche ortsungebundene Kunst, eine ortlose Kunst. Die telekommunikative Technik steigert die Mobilität und Multiplikation der Bilder, mit der gesteigerten Ortlosigkeit steigt die Bilderfülle (Magazine, Fernsehen, www).

Die distribuierten, dislokalen Bildräume, die ihren aktuellen Ausdruck in Multi-User-Online-Spielen und virtuellen Environments finden, simulieren "die spukhafte Fernwirkung" (Einstein). Der experimentelle Nachweis der Fernwirkung durch die Quanteninformatik eröffnet die kommende Phase einer entstehenden Ferngesellschaft, in der das Bild eine nie gekannte Mächtigkeit erlangt, indem es paradoxerweise seinen historischen Charakter verliert und zu einem "epistemischen Ding" (Hans-Jörg Rheinberger) wird, zu einem Mischgebilde, "noch Objekt und schon Zeichen, noch Zeichen und schon Objekt" (Michel Serres).


Prof. Dr. Anton Zeilinger (Referent)
Experimentalphysiker, Institut für Experimentalphysik, Universität Wien

30.01.2003, 19:00 Uhr
Aula, Ludwig-Maximilians-Universität München, Geschwister-Scholl-Platz 1

Nicht lokalität in der Quantenphysik

Verschränkung, nach Erwin Schrödinger das wesentliche Charakteristikum der Quantenphysik, bedeutet, dass zwei oder mehr Systeme über große Entfernungen enger zusammenhängen können, als dies bei klassischen Systemen möglich ist. Diese von Albert Einstein einmal als "Spukhafte Fernwirkung" bezeichnete Erscheinung, ist heute nicht nur hervorragend experimentell bestätigt, sondern bildet die Grundlage einer neuen Informationstechnologie. Ihre herausragensten Konzepte sind: Quantenkryptographie, Quantenteleportation und der Quantencomputer. Daneben wurde die Interpretationsfrage neu aufgeworfen, und es weist viel darauf hin, dass Information eine fundementale Rolle in unserem Weltverständnis spielt.


Jenseits der Sprache? Anmerkungen zur Logik der Bilder

Bildverlust oder Bilderflut? Die gegenwärtige Konjunktur der Bilder produziert unverdrossen die unterschiedlichsten Meinungen und Einschätzungen. In ihnen spiegelt sich zugleich, dass die Form eines verbindlichen und überprüfbaren Wissens über Bilder noch längst nicht erreicht ist, Bildwissenschaft bislang nur als Blaupause existiert.

Der Vortrag versucht die kognitiven, imaginativen und affektiven Leistungen der Bilder auf ihre mögliche Logik hin zu befragen. Generieren sie einen genuinen Sinn? Was macht Bilder sprechend – wenn es nicht (nur) die Sprache ist?

Prof. Dr. Gottfried Boehm (Referent)
Ordinarius für Neuere Kunstgeschichte, Universität Basel

16.01.2003, 19:00 Uhr
Aula, Ludwig-Maximilians-Universität München,
Geschwister-Scholl-Platz 1


Die Welt als Buch - Über das Verhältnis von Schrift, Bild und Poesie im Islam

Prof. Dr. Annemarie Schimmel (Referent)

Professorin für Orientalistik - Vortrag entfiel aus Krankheitsgründen-, Orientalisches Seminar, Universität Bonn

09.01.2003, 19:00 Uhr
Aula, Ludwig-Maximilians-Universität München
Geschwister-Scholl-Platz 1


Prof. Dr. Martin Kemp (Referent)
Professor für Kunstgeschichte, University of Oxford

16.12.2002, 19:00 Uhr
Aula, Ludwig-Maximilians-Universität München,Geschwister-Scholl-Platz 1

Structural Intuitions in Art and Science (Vortrag in englischer Sprache)

The relations between art and science have become of increasing interest in recent years, but discussion tends to become trapped either in the realm of the influence of one on the other or in the area of vague notions of creativity and imagination. I believe that there is another, more productive way of looking at the issue.

If we direct our attention to the fundamental level of the way in which something is selectively scrutinised by the artist and scientist, and how those acts are structured, we can gain a better sense of shared intuitions in art and science, and how these intuitions are expressed in images. Images are generally designed to do radically different jobs in art and science, but they carry clear signs of the structural framework of seeing that is their common point of departure - if we know how and where to look.

Evidence will be drawn largely from my more recent essays on "Science in Culture" published each month in Nature. The first set of essays were published as Visualizations, and in now seems like a good time, almost three years later, to review what has emerged, as some old themes have been reviewed and new motifs introduced. The images range from "high art" to technical representation in science, and from the Renaissance to the present day. Further evidence will be drawn from our experience in the mounting of the exhibition, Gregor Mendel. The Genius of Genetics in the Abbey of St. Thomas in Brno, where Mendel established his genetic laws.

The whole enterprise of my analysis of images is based on a belief that the understanding of visual representation provides an ideal weapon in the fight to break down the disastrous barriers of communication that modern specialisation has erected between the arts and sciences.

Die Beziehungen zwischen Wissenschaft und Kunst sind in den vergangenen Jahren zunehmend in den Mittelpunkt des Interesses gerückt. Die Diskussion darüber scheint sich allerdings in den Fallstricken ihrer gegenseitigen Beeinflussung oder in vagen Begriffen von Kreativität und Imagination zu verfangen. Ich bin der Ansicht, dass es einen anderen, konstruktiveren Weg gibt, sich dieser Frage anzunehmen.

Wenn wir unsere Aufmerksamkeit auf die fundamentale Grundlage der Art und Weise lenken, wie eine Sache vom Künstler und Wissenschaftler selektiv betrachtet wird und wie diese Handlungen strukturiert sind, können wir die Intuitionen, die Kunst und Wissenschaft gemeinsam sind, besser verstehen und nachvollziehen, wie diese Intuitionen in Bildern zum Ausdruck kommen. Im Allgemeinen haben Bilder in Kunst und Wissenschaft diametral entgegengesetzte Aufgaben zu erfüllen, aber sie tragen klare Zeichen eines strukturellen Rahmens des „Sehens“, was ihren gemeinsamen Ausgangspunkt bildet – wenn wir wissen, wie und wo wir hinschauen müssen.

Die Beweise dafür finden sich im Wesentlichen in meinen aktuellsten Essays „Science in Culture", die monatlich in Nature veröffentlicht werden. Die erste Essay-Reihe erschien unter dem Titel Visualizations. Heute, fast drei Jahre später, scheint mir der richtige Zeitpunkt, um zu beurteilen, was davon übriggeblieben ist, da alte Themen überarbeitet und neue Motive eingeführt wurden. Die Bilder reichen von der „hohen Kunst“ bis zur technischen Darstellung in der Wissenschaft, von der Renaissance bis zur Gegenwart. Zugrunde liegen werden auch unsere Erfahrungen, die wir beim Aufbau der Ausstellung Gregor Mendel. The Genius of Genetics in der Abtei St. Thomas in Brünn gemacht haben, dem Ort, wo Mendel die Gen-Gesetze entdeckte.

Meine gesamte Arbeit der Bildanalyse gründet auf dem Glauben, dass das Verstehen visueller Darstellung eine ideale Waffe im Kampf ist, die verhängnisvollen Kommunikationsschranken niederzureißen, die die derzeitige Spezialisierung zwischen Kunst und Wissenschaft aufgebaut hat.


Prof. Dr. Semir Zeki (Referent)
Professor für Hirnforschung, University College, London

12.12.2002, 19:00 Uhr
Audimax, Ludwig-Maximilians-Universität München,
Geschwister-Scholl-Platz 1
Vortrag in englischer Sprache

Neural Concept Formation and Art: Dante, Michelangelo, Wagner

One of the primordial functions of the brain is the acquisition of knowledge. A key feature of an efficient knowledge-acquiring system is the capacity to abstract from the experience of many particulars, so that the brain is no longer hostage to the particular. Abstraction leads naturally to the next step - the formation of concepts or ‘ideas’, both steps in this knowledge-acquiring machinery being mediated by neural processes of which we are unaware. There is, however, a substantial price that is exacted in return for the efficiency of the knowledge-acquiring machinery of the brain. A brain concept is constructed from experience of many particulars, but the brain’s experience at any given time is that of a particular, which may not satisfy the brain’s concept. One refuge lies in living or reconstructing that concept in a work of art. I will illustrate this by reference to the work of three mighty figures in Western culture, drawn from literature, sculpture and music: Dante, Michelangelo, Wagner.

The work of our laboratory is supported by the Wellcome Trust, London

Eine der Hauptfunktionen des Gehirns besteht in dem Erwerb von Wissen. Eine Schlüsselkomponente eines effizienten Systems des Wissenserwerbs ist die Fähigkeit , von der Erfahrung einer großen Anzahl von Einzelbildern zu abstrahieren, damit das Gehirn die Einzelheit nicht länger aufnimmt. Die Abstraktion führt folgerichtig zum Abfolge des nächsten Schritts - der Bildung von Vorstellungen oder „Ideen“, beides Vorgänge in diesem komplexen Wissenserwerbssystem, die von neuronalen, dem Menschen indes unbewussten Prozessen geleistet werden. Die Effizienz des Wissenserwerbssystems unseres Gehirns fordert allerdings einen hohen Preis. Eine Vorstellung im Gehirn baut sich aus der Erfahrung von Einzelbildern auf, die Erfahrung des Gehirns ist aber zu jeder Zeit die Erfahrung eines Einzelbildes, das das Konzept/die Vorstellung des Gehirns nicht befriedigen kann. Eine Zuflucht besteht darin, dies zu leben oder es in einem Kunstwerk zu rekonstruieren. Ich will dies an der Arbeit von drei berühmten Persönlichkeiten unserer westlichen Kultur aus der Literatur, der Bildhauerei und der Musik veranschaulichen: Dante, Michelangelo, Wagner.

Die Arbeit unseres Labors wird vom Wellcome Trust, London, unterstützt.


Prof. Dr. Rolf Pfeifer (Referent)
Professor für künstliche Intelligenz, Institut für Informatik, Universität Zürich

05.12.2002, 19:00 Uhr
Aula, Ludwig-Maximilians-Universität München,
Geschwister-Scholl-Platz 1

Die Visualisierung von Intelligenz

In der künstlichen Intelligenz (AI - Artificial Intelligence) gibt es seit einigen Jahren einen neuen Ansatz, genannt „New AI“ oder „Embodied AI“, der in krassem Gegensatz zum klassischen Symbolverarbeitungsansatz steht. In der klassischen AI geht man davon aus, man könne Denken verstehen, indem man es als Algorithmus oder Computerprogramm konzeptionalisiert. Diese Ansicht hat sich als falsch herausgestellt. Man hat erkannt, dass Denken und Intelligenz nicht losgelöst von Verhalten verstanden werden können. Damit ist impliziert, dass der Körper für Intelligenz eine zentrale Rolle spielt. Computerprogramme, wie sie im klassischen Ansatz verwendet werden, interagieren nicht mit der realen Welt. Genau darum aber geht es: Intelligenz ist Verhalten, d.h. Interaktion eines Systems (natürlich oder künstlich) mit seiner physikalischen und sozialen Umwelt.

Wahrnehmung etwa, besteht nicht im (passiven) Abbilden eines Sensormusters auf eine innere Repräsentation, sondern ist Verhalten, also ein aktiver, strukturierender Prozess der Interaktion mit der Umwelt. Dies hat sich eindrücklich im Gebiet „computer vision“ gezeigt, dem Bereich also, wo man visuelle Wahrnehmung nachzuahmen sucht. Mit grossem Aufwand, aber ohne Erfolg, hat man versucht, Kameras an Computer anzuschliessen, und die Bilder mit Hilfe von Mustererkennungs-Programmen zu analysieren. Diese Experimente haben zum ersten Mal gezeigt, dass „vision“ so nicht /funktionieren kann/ funktioniert. Hier liegt die „power“ der synthetischen Methodik: „Verstehen durch Nachbauen“. Man baut Verhaltensweisen, wie Gesichter erkennen, gehen, oder Objekte manipulieren, entweder mit Hilfe von Robotern oder als Computersimulation nach. Dadurch, dass man Intelligenz als Verhalten konzeptionalisiert und mit Hilfe von Artefakten nachbaut, besteht erstmals die Möglichkeit, Intelligenz sichtbar zu machen und wirklich bildhaft darzustellen. Auch Fehler in der Konzeption treten nun sofort ins Auge: man braucht sich das Verhalten des Artefaktes nur anzuschauen und sieht unmittelbar, ob etwas Wesentliches falsch gemacht wurde.

Statt den Ingenieur definieren zu lassen, wie der Roboter aussehen soll, der bestimmte Verhaltensweisen nachahmt, kann man sich auch die Evolution zunutze machen und auf dem Rechner simulieren. Definiert wird lediglich was der Roboter (oder die „Kreatur“) können soll und den Rest überlässt man der simulierten Evolution. Um ganze „Kreaturen“ zu evolvieren, müssen zusätzlich die Wachstumsprozesse von der „Eizelle“ bis zum erwachsenen Organismus (Morphogenese) reproduziert werden. Für die Modellierung der Wachstumsprozesse orientiert man sich an der Natur (an den sog. genetischen Regulatornetzen), die ja eine enorme Vielfalt an Formen und Organismen hervorgebracht hat. Um die zugrunde liegenden hochkomplexen Prozesse zu verstehen, sind neue Methoden der Visualisierung notwendig. Die synthetische Methodik geht allerdings über das rein Bildhafte hinaus, indem sich die „Organismen“ auch in der realen Welt beweisen müssen. Sie geht auch über die Biologie hinaus, indem sie „Organismen“ erzeugen kann, die in der Natur nicht vorkommen. Man kann also gewissermassen auch neue Formen des Lebens explorieren und visualisieren („life as it could be“).

Im Vortrag werden diese Ideen durch viele Beispiele mit Bildern und Videos illustriert. Der Inhalt ist allgemeinverständlich und setzt kein spezifisches Fachwissen voraus.


Prof. Dr. Jan Assmann (Referent)
Professor für Ägyptologie, Ägyptologisches Institut, Universität Heidelberg

28.11.2002, 19:00 Uhr
Aula, Ludwig-Maximilians-Universität München,
Geschwister-Scholl-Platz 1

Frühzeit des Bildes: Der Iconic Turn im Alten Ägypten

Die Rede von einer "Wende zu den Bildern", einem iconic turn, den unsere Kultur und Gesellschaft in der Spätmoderne vollzieht, hat eine lange Vorgeschichte in der abendländischen "Grammatologie", der Lehre von den Schriftzeichen und ihrer Beziehung zu Sprache, Denken und Wirklichkeit. Die These, die dieser Vortrag vertreten und begründen möchte, geht dahin, daß dieser abendländische Diskurs, vermittelt durch die Griechen, in letzter Instanz auf die Schriftkultur des Alten Ägypten mit seinen verschiedenen ikonischen und anikonischen Schriften zurückgeht. Das Abendland, dessen gegenwärtige kulturelle Situation Moses Mendelssohn als "Buchstabenmenschentum" bezeichnete, träumte seit der Renaissance den Traum einer ganz anderen, natürlichen Schrift, in der sich die Welt unmittelbar, d.h. nicht über konventionelle Codes vermittelt, erschließt und sah deren

Ur- und Vorbild in den ägyptischen Hieroglyphen, wie sie in griechischen Quellen, allen voran dem Hieroglyphenbuch des Horapollon, beschrieben wurden. Der Vortrag zeigt aus ägyptologischer Sicht, wie viel, trotz der entzaubernden Entzifferung der Hieroglyphen durch Champollion, an diesen Vorstellungen auf genuiner ägyptischer Tradition beruht und in welchen Formen diese Tradition die abendländischen Diskurse beflügelt und befruchtet hat.


Wim Wenders (Referent)
Filmemacher, Los Angeles,

17.10.2002, 19:00 Uhr
Aula, Ludwig-Maximilians-Universität, Geschwister-Scholl-Platz 1

"Every Picture Tells a Story" - von ORTEN als AUTOREN - und von unserem digitalen Zeitalter

Mit seinem Vortrag, "Every Picture tells a Story: Von ORTEN als AUTOREN und von unserem digitalen Zeitalter", hielt Wim Wenders ein leidenschaftliches Plädoyer für die europäische Filmkultur. In Europa mit seinen vielfältigen regionalen Kulturunterschieden spielten die Orte, an denen eine Geschichte spielt, anders als im ort-losen Hollywood-Film immer noch eine große Rolle. In seinen Augen seien Orte sogar die eigentlichen Geschichtengeber. Orte hätten eine eigene Geschichte, und diese verlange, erzählt zu werden. Er sei sozusagen der Vermittler, der von den Orten beauftragt werde, ihre Geschichten zu erzählen. Bis auf wenige Ausnahmen, in denen die Produktionsumstände dagegen waren, seien alle seine Filme von Orten ausgegangen, die ihn fasziniert und zum Erfinden von Geschichten und Charakteren inspiriert hätten.

Mit seinem Vortrag gewährte er Einblicke in die Entstehungsgeschichte seiner großen Filme, die, so Wenders, alle an Originalschauplätzen gedreht wurden. Seine Geschichten entwickelten sich anders als in Hollywood-Filmen nicht entlang der Erzähllinien eines Plots sondern waren angetrieben von der Atmosphäre der Orte, an denen sie spielten. Wo dies nicht der Fall war und der Film, wie im Fall von "Hammett" oder "Der scharlachrote Buchstabe", nicht an Schauplätzen seiner Wahl gedreht wurde, seien die Filme dann leider auch misslungen.

"Orte haben ein Gedächtnis. Bilder von Orten enthalten die Geschichten der Orte", so Wenders. Er plädiert dafür, dass in einem zukünftigen Studiengang "Bildwissenschaft" ein Vertreter des "Orts-Sinns" die Interessen von Orten vertritt.