Iconic Turn - Vorlesungen - 2002 Sommer

 
 
 

Vorlesungen im Sommersemester 2002

Vom Sommersemester 2002 bis zum Wintersemester 2004/05 fand an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität in Erinnerung an den verstorbenen Felix Burda-Stengel die Vorlesungsreihe "Iconic Turn - das neue Bild der Welt" statt. Der erste Teil der Reihe wurde 2004 in Buchform “Iconic Turn - Die neue Macht der Bilder” veröffentlicht.

Iconic Turn - Felix Burda Memorial Lectures: 2004/05 Winter - 2003 Sommer - 2002/03 Winter - 2002 Sommer

Iconic Turn - Felix Burda Memorial Workshops: 2002 Sommer

Prof. Dr. Wolf Singer (Referent)
Direktor, Max Planck Institut für Hirnforschung, Frankfurt am Main

06.06.2005, 19:00 Uhr
Aula, Ludwig-Maximilians-Universität, München

Vom Bild zur Wahrnehmung
Unser Gehirn bestimmt, wie uns die Welt erscheint; unsere Weltbilder sind Konstrukte. Diese Erkenntnis bleibt der Alltagserfahrung verborgen, da gesunde Gehirne die Welt auf ähnliche Weise interpretieren, wird jedoch durch eindrucksvolle Korrelationen zwischen veränderter Wahrnehmung und gestörten Funktionsabläufen im Gehirn belegt. Unsere Intuition irrt auch hinsichtlich der Organisation jener Prozesse im Gehirn, die der Wahrnehmung zugrunde liegen. Es erscheint uns, als müsse es in unserem Gehirn einen Ort geben, an dem die Signale aus unseren verschiedenen Sinnessystemen zusammengeführt und einer einheitlichen Interpretation unterworfen werden, der Ort, an dem sich Empfindungen und bewusste Wahrnehmungsinhalte konstituieren. Dieser Vorstellung widersprechen neuere Erkenntnisse über die funktionelle Organisation unseres Gehirns. Es wird deutlich, dass die Funktionsabläufe in unserem Gehirn in hohem Maße parallelisiert sind. Eine der großen Herausforderungen an die moderne Hirnforschung ergibt sich aus der Frage, auf welche Weise diese parallel ablaufenden Verarbeitungsprozesse im Gehirn miteinander verbunden werden, so dass kohärente Interpretationen der Welt und zielgerichtete Entscheidungen möglich werden.


Prof. Dr. Friedrich Kittler (Referent)
Professor für Mediengeschichte, Institut für Kulturwissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin

11.07.2002, 19:00 Uhr
AUDIMAX,
Ludwig-Maximilians-Universität, München

Das berechnete Bild
Geometrisch konstruierte Bilder, einschließlich Albertis Linearperspektive, erfüllen den Begriff errechneter Bilder nicht, sondern erst Bilder, wie sie seit den Brüdern Weber (1836) aus der Lösung von Gleichungssystemen hervorgehen. Auch Computer als solche sind keine Bildmedien; sie wurden es erst auf dem langen Weg zu graphischen Windows-Oberflächen. Gleichwohl bleibt Computergraphik sowohl technologisch wie algorithmisch d e r Schrittmacher gegenwärtiger Hardware-Entwicklung. Welche optischen Effekte damit errechenbar geworden sind, sollen zwei entgegengesetzte Simulationsmodelle zeigen (Raytracing versus Radiosity). Abschließend geht es um die Beziehung zwischen scientific visualisation und Computertechnik als Rückkopplungsschleife.


Prof. Dr. Horst Bredekamp (Referent)
Kunsthistoriker, Humboldt-Universität zu Berlin

04.07.2002, 19:00 Uhr
Aula, Ludwig-Maximilians-Universität, München

Kunstgeschichte als historische Bildwissenschaft
Seit ihrer Gründung hat die Kunstgeschichte keinesfalls auf Bereiche der "Hochkunst" beschränkt. Die um 1900 vor allem in Wien, München und Hamburg ausgebildeten Methoden haben der Kunstgeschichte als einer umfassenden historischen Bildwissenschaft ein bis heute tragfähiges Fundament gegeben.

 Die Stärkung und der Ausbau dieser Grundlagen erscheint für die Geltung des Faches gegenwärtig von besonderer Bedeutung. Verschiedene Vorstöße, im angelsächsischen oder deutschsprachigen Raum die "visual studies" oder auch eine allgemeine "Bildwissenschaft" zu etablieren, stellen die Kunstgeschichte bisweilen als "zweite Archäologie" dar, die für die Welt der gegenwärtigen Bilder nicht mehr genuin zuständig sei. Das hierdurch entstandene Problem für die Wahrnehmung der Kunstgeschichte könnte vernachlässigt werden, wenn dabei nicht Methoden verloren gingen, die für die Beschäftigung mit Bildern eine unabdingbare Voraussetzung bieten. Der "pictorial" oder auch "iconic turn" hat zwar ein ungeheures Interesse für alle Fragen des Bildes entfacht, aber er hat kaum dazu beigetragen, die Erforschung der formalen Bedingungen des Gegenstandes "Bild" voranzubringen.

Vor allem wird immer wieder außer Acht gelassen, daß es gegenwärtig insbesondere die Naturwissenschaften sind, die ein Höchstmaß an ästhetischer Innovation aufwenden, um sich ihrer oftmals nicht sichtbaren Gegenstände zu vergewissern. Im Vortrag soll versucht werden, an Hand historischer Fallstudien die formale Qualität auch und gerade naturwissenschaftlicher Bildprodukte zu erfassen, die in der Regel als "Illustrationen" unterschätzt und in ihrer semantischen Botschaft entschärft werden.


Prof. Dr. Reinhard Brandt (Referent)
Professor für Philosophie, Philipps-Universität Marburg

20.06.2002, 19:00 Uhr
Aula, Ludwig-Maximilians-Universität, München

Von der Wahrnehmung zum Bild
Der Bildbegriff sollte, um praktikabel zu sein, durch folgende Merkmale festgelegt werden. Erstens sind statische oder bewegte Bilder optische - und damit anthropologisch bedingte - Phänomene. Sie können als solche weder in andere Sinnesbereiche transponiert werden (Bilder lassen sich nicht hören oder schmecken), noch bilden sie Symbole oder Zeichen, die ohne Verlust in andere Medien übersetzbar sind; die sichtbare Schrift kann z. B. in eine tastbare Blindenschrift transponiert werden, etwas Analoges ist dagegen bei Bildern nicht möglich. Zweitens unterscheiden sich Bilder von anderen optischen Phänomenen dadurch, daß sie etwas zur Anschauung bringen und erkennen lassen, was sie selbst nicht sind. Dieses „erkennen lassen“ und die vom Bildbetrachter zu vollziehende Negation („was sie selbst nicht sind“) werden in der abstrakten Kunst im Bild selbst aufgehoben. – Die kopernikanische Wende faßte Raum und Zeit und die Kategorien der Wirklichkeit als subjektive Formprinzipien und wandte sich damit gegen die traditionelle Ontologie; die sprachphilosophische Wende sah in diesen subjektiven Prinzipien lediglich psychologische Residuen und verlegte die Erkenntnis aus dem privaten Subjekt in das öffentliche Medium der Sprache. Was leistet die dritte Wende, der „iconic turn“?


Norman Foster (Referent)
Architekt, Foster and Partners - architects and designers, London

13.06.2002, 19:00 Uhr
Aula, Ludwig-Maximilians-Universität, München

Stadterneuerung
Stadterneuerung bedeutet das Bemühen um eine bessere Lebensqualität mit Hilfe gestalterischer Maßnahmen, denn Gestaltungsqualität und Lebensqualität sind miteinander verbunden. Die bauliche Umgebung, das, was wir sehen und fühlen, eben das, was uns umgibt, ist die Folge bewusster gestaltungspolitischer Entscheidungen. Gestaltung kann Wandel bewirken. Sie kann unser Leben, unsere Gesundheit und unsere Arbeitsweise verändern. Sie kann unser Wohlbefinden erhöhen und unsere Produktivität steigern.

In gewisser Weise wird unsere Umgebung jedoch nicht so sehr von den einzelnen Gebäuden selbst als vielmehr von der Qualität der Infrastruktur beeinflusst. Die Infrastruktur ist der „Klebstoff“, der eine Stadt erst zusammenhält. Bevor man sich jedoch an die Gestaltung der physischen Infrastruktur begeben kann, ist zunächst eine Infrastruktur für die Entscheidungsfindung vonnöten. Die Gestaltungsqualität steht in direkter Beziehung zur Qualität der Entscheidungsfindung. In diesem Sinne stellt der Begriff Qualität eine Geisteshaltung dar.

Die beispiellose Verstädterung, Umweltverschmutzung und Energieverschwendung unserer Tage stellt nicht nur die Politik, sondern auch die Stadtplanung vor neue Herausforderungen. Einige dieser Probleme lassen sich am Beispiel des Berliner Reichstags als relativ kleines Einmalprojekt veranschaulichen.

Am Beispiel des Carré d’Art in Nîmes zeigt sich, wie ein einzelnes Vorhaben im Zusammenhang mit einer klugen politischen Initiative das Gesamtgefüge einer Stadt erneuern kann, wie Verkehrsberuhigung und neue Freizeitangebote in einem Stadtzentrum zu dessen wirtschaftlicher und kultureller Wiederauferstehung beitragen können. Das Carré d’Art und die damit verbundenen städtebaulichen Maßnahmen auf dem Platz des Maison Carré haben einem ganzen Stadtviertel ein neues Gesicht gegeben. Der Platz ist voller Menschen, die unter vielen neuen Straßencafés wählen können, und die positiven Nachwirkungen der Neugestaltung sind noch weit entfernt spürbar. Dieser Erfolg war zum großen Teil auf die eigenwillige Haltung des Bürgermeisters von Nîmes zurückzuführen, der fest entschlossen war, die städtische Umwelt zu verbessern.

Ein ähnliches Beispiel für die Macht des Einzelnen bei der Herbeiführung von Veränderungen ist der Bürgermeister von Barcelona, Pasqual Maragall. Als eine Verschandelung der Gebirgslandschaft durch Antennen und Satellitenschüsseln abzusehen war, bestand er darauf, dass die Firmen der Telekommunikationsbranche zusammenarbeiteten und ihre Übertragungseinrichtungen an nur einem gemeinsamen Turm anbrachten. Durch Ausschreibung eines internationalen Architektenwettbewerbs sorgte Maragall dafür, dass ein wirklich ansehnliches Bauwerk errichtet werden konnte – eines, das sich zu einem neuen Wahrzeichen und Symbol der Stadt entwickeln würde.

Mit unserem Gesamtplan für das Hafengelände in Duisburg an der Mündung der Ruhr in den Rhein haben wir in Zusammenarbeit mit den Kommunen ein brachliegendes Industriegebiet zu neuer Blüte erweckt und es geschafft, die nach dem Niedergang der Stahlindustrie negative Entwicklung der Arbeitslosenzahlen umzukehren. Der Gesamtplan stellte eine politische Initiative zugunsten einer hochwertigen Infrastruktur dar, mit deren Hilfe Investoren angelockt und Gewerbeunternehmen auf dem Gelände angesiedelt werden sollten. Dabei war die Mischung aus Gewerbe-, Wohn- und attraktiven öffentlichen Flächen, die mit der üblichen Trennung von Arbeit, Wohnen und Freizeit brach, für eine nachhaltige Neuentwicklung des Geländes unverzichtbar.

Die „Millennium Bridge“ in London, die den Weg vom Finanzviertel in den Stadtteil Southwark verkürzt, bildet einen wichtigen Bestandteil in der Fußgänger-Infrastruktur der britischen Hauptstadt. Abseits von Verkehrslärm und Autoabgasen lädt die Brücke zu einem Spaziergang ein und ist inzwischen so beliebt, dass die Themse eher als verbindend denn als trennend angesehen wird. Darüber hinaus beeinflusst die Brücke das gesellschaftliche und auch das wirtschaftliche Leben zu beiden Seiten des Flusses, indem sie einerseits neue Wege nach Southwark eröffnet und so zum Aufblühen des Stadtteils beiträgt sowie andererseits das Ufer an der St.-Paul’s-Kathedrale zu neuem Leben erweckt.

Auf ähnliche Weise hat der „Great Court“ dem Britischen Museum neues Leben eingehaucht und für London einen neuen kommunalen und sozialen Raum von großer Bedeutung geschaffen. In Ergänzung dazu wurde der Museumsvorplatz für den Autoverkehr gesperrt und zu einem öffentlichen Platz umgestaltet. Zusammen stellen die zwei Maßnahmen eine wichtige neue Freizeiteinrichtung für London sowie einen neuen Treffpunkt für jene dar, die in der Gegend leben oder arbeiten. Auch entsteht durch das Projekt ein neuer öffentlicher Weg mitten durch Bloomsbury. In dieser Hinsicht passt es in den Rahmen des Gesamtplans, den wir für die Aufwertung von Trafalgar Square, Parliament Square, Whitehall und Umgebung ausgearbeitet haben.

Mit dem Projekt „World Squares for All“ sollen die fußläufige Erreichbarkeit und die Nutzung des Gebietes sowohl für die Londoner selbst als auch für die zahllosen Besucher verbessert und zugleich die unmittelbare Umgebung der vielen historischen Gebäude und Denkmäler der Stadt aufgewertet werden. Unsere Vorschläge zielen auf die Beseitigung der ungleichen Behandlung von Mensch und Verkehr sowie auf die Verbesserung der Lebensqualität in der modernen Großstadt. Jedes Projekt dieser Art kommt einem Balanceakt gleich, in dessen Rahmen für wahrhaft ganzheitliche Lösungen geworben werden muss, um den vielen Erfordernissen unserer Städte gerecht zu werden. Zwar hebt sich das Modell der historischen europäischen Stadt von den Megastädten des pazifischen Beckens deutlich ab, gleichwohl zeigen sich, wenn auch unterschiedlichen Ausmaßes, gemeinsame Probleme. Dabei besteht die vielleicht größte Herausforderung im Erreichen einer höheren Entwicklungsdichte bei verbesserter urbaner Lebensqualität.


Von der Wahrnehmung zum Bild

Prof. Dr. Wolf Singer (Referent)
Direktor, Max Planck Institut für Hirnforschung, Frankfurt am Main

06.06.2002, 19:00 Uhr
Aula, Ludwig-Maximilians-Universität, München


Prof. Dr. Peter Sloterdijk (Referent)
Professor für Philosophie und Ästhetik, Staatliche Hochschule für Gestaltung, Karlsruhe

16.05.2002, 19:00 Uhr
Aula, Ludwig-Maximilians-Universität, München

Bilder der Gewalt - Gewalt der Bilder

Typen der Gewalt

Um Gewalterscheinungen in unserer modernen Gesellschaft zu erklären, müsse man laut Peter Sloterdijk zwei grundlegende Typen von Gewalt unterscheiden: Zum einen die innerfamiliäre Gewalt, die zu enthemmender, generationenübergreifender Eskalation führe. Schon in den antiken Mythen wurden grausame Familienfehden beschrieben, welche als "Urszenen der europäischen Gewaltdarstellung" gelten könnten, so Sloterdijk.

Zum anderen existiere eine Form von Gewalt, die sich als institutionalisierte Gewalt etwa in Kriegen entwickelt. "Als Prototyp der Kriegsberichterstattung gilt die ‚Illias´ von Homer", erläuterte Sloterdijk. "Mit dieser europäischen Gewalterzählung fängt unser Geschichtsstrom an!" Darin erlangte der sogenannte Heldenzorn beziehungsweise die Raserei des Helden eine ganz grundlegende Bedeutung: "Zorn entwickelt sich so zu einem Grundwert der politischen Theorie und politischen Philosophie."

 Brot und Spiele

Zorn, Gewalt und die Macht, den Untertanen den Tod zu geben, wurden zum Zeichen von Majestät erhoben und in eine Ästhetik des Erhabenen gefasst. Das Erhabene brauchte den gewalttätigen Zorn des Herrschers, um die Untertanen vor ihm zittern zu machen. Diese Rolle ging später auf die Allmacht der Natur über, vor der ein schreckensbewegtes Publikum erschauerte. "Heute ist das Recht und Vermögen, dem Publikum den Tod zu zeigen, an die moderne Unterhaltungsindustrie übergegangen." Eine harmlose Darstellung von Gewalt könne es nicht geben, meint Sloterdijk, denn: "Wer mitteilt, teilt die Sache selbst, der Erzähler ist immer auch Verbündeter, Komplize und Kritiker." Den Rückgriff auf die Antike nutzte Sloterdijk, um in die Probleme der Neuzeit einzuführen. Das vergangene Jahrhundert habe eine Wiederholung der "Vulgär-Antike" gebracht: "Das Grundproblem des 20. Jahrhunderts ist, dass der römische Amüsierfaschismus - Brot und Spiele - über das Sportlerideal des griechischen Helden gesiegt hat."

Der ehrenhafte Tod

Die national-imperialen Staaten stützten sich heutzutage laut Sloterdijk auf eine Massenkommunikation, durch die das Volk täglich indoktriniert werde - Stichwort "Halluzinationsgemeinschaft". "Kolumnisten, Prediger und Revoluzzer hauchen der Masse Einheit ein", so Sloterdijk.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde von der männlichen Jugend noch Opferbereitschaft für die Nation gefordert.

"Heutzutage gibt es kein Anrecht auf einen ehrenwerten Tod auf dem Felde mehr. Als schwacher Ausgleich müssen Drogen, schnelles Fahren und das Spielen mit Schusswaffen herhalten. Der ehemalige General wird im populären Film durch den Partisanen oder einen Kampfroboter à la Terminator abgelöst." Die wichtigste Gattung der Gewaltdarstellung in der Populärkultur sei der Horrofilm, der eine zivilisierende Funktion habe und ein Katalysator für Angst sei. Beispielsweise mache die Chancenlosigkeit den jungen Menschen Angst: "Für die meisten gibt es kein gelungenes Leben mehr, sondern nur noch ein gedehntes Scheitern".

"Offenbarung des Sprengstoffs"

Die Fluten gewalttätiger Kino-Bilder hätten eine wichtige Funktion in der gegenwärtigen Gesellschaft: "Wenn das Kino eine Kirche wäre, dann würde dort die Offenbarung des Sprengstoffes zelebriert."

Auf den ersten Blick habe sich in den modernen Massenmedien, so Sloterdijk, das Modell der institutionalisierten kriegerischen Gewalt der "Illias" durchgesetzt. Bei näherem Hinschauen könne man aber auch den familiären Ansatz erkennen, da Gewalt durch die Medien auch privatisiert worden sei. "Die Botschaft der heutigen Unterhaltungsindustrie lautet: Es ist herrlich ein Vernichter zu sein unter lauter Unterdrückten."


Prof. Dr. Bazon Brock (Referent)
Professor für Ästhetik, Bergische Universität - Gesamthochschule Wuppertal

07.05.2002, 19:00 Uhr
Aula, Ludwig-Maximilians-Universität, München

Imaging als Einheit von Künsten und Wissenschaften
Den Beginn der Moderne im 15. Jahrhundert bezeichnet eine damalige Kampagne, die behauptete, wesentlichen Erkenntnisfortschritt erziele man nicht durch gelehrte Textkonstrukte, sondern durch Bildgebung, wie sie die bildenden Künstler mit Visualisierungen, Modellbau, zentralperspektivischem Bildraum und der Entwicklung von optischem Gerät betrieben. Der Kampagnentitel hieß ut pittura poesis: Bildgebung schafft Erkenntnis. Das demonstrierte Leonardo mit seinen Anatomiestudien, technischen Konstruktionszeichnungen, Wissenschaftsillustrationen und Kunstwerken am Wendepunkt von christlicher zu humanistischer Ikonographie (Bilddeutung).

Ab dem 16. Jahrhundert trennten sich die wissenschaftlichen und künstlerischen Verfahren der Bildgebung und experimentellen Modellierung. Die Verfahrenslogiken von Wisssenschaften und Künsten schienen völlig unvereinbar zu sein; man sprach von den drei Kulturen: Wissenschaften, Künsten und politökonomischer Kommunikation. Mit der gemeinsamen Nutzung von Zeichengebungsmaschinen, also Computern, für Forschung und kommunikative Vermittlung sind Wissenschaften und Künste gleichermaßen veranlaßt, die Gestaltungslogiken der elektronischen Zeichengebung zu berücksichtigen. Damit ist erstmals seit dem 15. Jahrhundert die Chance zu einer sinnvollen Kooperation von Wissenschaftlern und Künstlern gegeben.


Prof. Dr. Hans Belting (Referent)
Professor emeritus für Kunstwissenschaft und Medientheorie,

25.04.2002, 00:00 Uhr
Aula, Ludwig-Maximilians-Universität, München

Echte Bilder und falsche Körper - Irrtümer über die Zukunft des Menschen
Die Gentechnologie, die in der Zukunft den Körper bedroht, ist eine neue Variante der Sehnsucht nach maschinenhaft perfekten Körpern, aber ihre Bedrohung liegt darin, daß sie Bilder zu Körpern machen und damit die Differenz zwischen dem Bild und jenem, wovon es ein Bild ist, aufheben will. Die ideologische Konstruktion des Körpers, die das 20. Jahrhundert beherrschte, wird von der Versuchung zu seiner biologischen Konstruktion abgelöst. Darin wiederholt sich der alte Konflikt von Natur und Bild in neuer Form. Man will den Körper in einem Bild nacherschaffen, in dem sich die Ideale von Gesundheit, Jugend und Unsterblichkeit erfüllen. Die "Eroberung der Welt als Bild", von der Heidegger gesprochen hat, würde damit abgeschlossen. Im Bild "kämpft der Mensch um die Stellung", in der er der Welt sein Maß aufdrückt. Für diesen Kampf setzt er "die uneingeschränkte Gewalt der Berechnung, der Planung und der Züchtung aller Dinge ins Spiel". Die Freiheit des Menschen von der Natur bestand gerade darin, dass er sich von ihr in den Bildern befreien konnte, die er selbst schuf und ihr entgegenstellte. Diese Freiheit verliert er in einem selbst geschaffenen Körper als einer Norm, von der es keine Abweichungen mehr gibt. Der "neue Mensch" ist keine neue Vision, aber die Vision verwandelt die fiktive Erinnerung an einen paradiesischen Menschen vor dem Sündenfall in das Bild eines zukünftigen Menschen, in welchem die Technik zur Natur geworden ist. Wir sind Gefangene der Bilder geworden, mit denen wir uns umgeben. Deshalb verwechseln wir die Krise des Bildes, die von der technologischen Expansion der Bildmedien beschleunigt wird, mit einer Krise des Körpers, den wir in den Bildern nicht mehr wieder finden oder nicht mehr wieder finden wollen. Daraus schließen wir dann auf eine Krise des Menschen.