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Thesen zu einer systemischen Bildwissenschaft

Systemische Bildwissenschaft geht davon aus, dass eine Beobachtung von Bildern ohne Beobachter nicht möglich ist. Beide sind bei ihrer Begegnung in ein gemeinsames soziales Milieu einbettet. Diese Bestimmung ist insofern von Bedeutung, als hier erstens das Verhältnis zwischen Bildern und ihren ästhetischen, sozialen, institutionellen, ökonomischen, politischen oder kulturellen Milieus beschrieben werden kann sowie zweitens das Verhältnis zwischen Beobachtern, ihren sozialen Milieus und den darin bevorzugten Lebensstilen und Existenzformen genauer untersucht werden kann. Es gibt keine Möglichkeit, dass sich Bild und Beobachter bei ihrer Begegnung in zwei verschiedenen Milieus befinden. Diese Tatsache ist von Bedeutung, da das Milieu voreinstellende und verhaltenskalibrierende Wirkungen auf den Beobachter hat. Es stellt ihn darauf ein, welche Arten von Bildern er in diesem Milieu höchstwahrscheinlich zu erwarten hat, wie er sich diesen Bildern gegenüber angemessen zu verhalten hat, wie er ihre ästhetische, gesellschaftliche oder historische Funktion verstehen soll, was als eine angemessene und adäquate Form des Handelns und Reagierens gegenüber diesen Bildern gilt.

Man kann keines dieser drei Bestimmungstücke aus einer systemischen Bildwissenschaft entfernen oder eines der drei Elemente auf die beiden anderen reduzieren. Ohne Bilder gibt es keine Bildwahrnehmung, ohne Beobachter gibt es keine Interpretation von Bildern, und ohne ein umgebendes Milieu gibt es keine Situation, in der sich ein Bild und ein Beobachter jemals begegnen könnten. Diese Trilogie ist grundlegend. Sie stellt die Ausgangssituation jeglicher bildwissenschaftlichen Untersuchungstätigkeit dar.


Hans Dieter Huber

Hans Dieter Huber ist Professor für Kunstgeschichte der Gegenwart, Ästhetik und Kunsttheorie an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart und Autor des Buchs Bild Beobachter Milieu.