Medien und/oder Kunst
Der Sammelband MediaArtHistories unternimmt, den Versuch, das Genre der Medienkunst mit ihren verschiedenen Geschichten ein Stück weiter in den Kanon der Kunst einzufügen. Denn noch immer - oder vielleicht auch mehr denn je - ist sie in Galerien, Großausstellungen und Museen kaum vertreten.
Statt dessen ist Medienkunst ein Genre geblieben, das in mehr oder weniger geschlossen Kreisen, an wenigen zentralen Orten und in akademischen Zirkeln zirkuliert. Bei dem Versuch, ihre Geschichte zu konstruieren, legt das Buch unfreiwillig einige der Gründe offen, warum Medienkunst eine Nischenkultur geblieben ist, die weder auf Kunst noch auf den Rest der digitale Kultur merklich ausstrahlt. Denn Kunst im allgemeinen kommt gut mit Medien, aber auch ohne ein explizites Genre namens Medienkunst zurecht. Und Medien werden längst nicht mehr von Künstlern und ihren Werken vorangebracht, sondern von Unternehmensgründern und Programmierern.
Die leitenden Begriffe des Bandes stammen noch aus der Zeit, als das Genre der Medienkunst erfunden und mit institutionelllen Anstrengungen publik gemacht wurde: Interaktivität, Immersion, Virtualität, Experiment. Eine Geschichte zu finden, einen Kanon zu bilden, Typologien zu finden und kulturelle Bedeutung zu reklamieren sind die Aufgaben, denen sich die Autoren des Bandes stellen.
Dabei entwickeln viele Beiträgen einen persönlichen Zugang, der mitunter sehr aufschlussreich ist.
Peter Weibel findet Vorbilder des Interaktiven im Bereich von Fluxus und macht auf einige fast vergessene Ausstellungen aus den 50er Jahren aufmerksam. Edward Shanken überlegt als Medienkünstler, wie sich das Problem, vom 'offiziellen' Kanon der Kunst ausgeschlossen zu sein, korrigieren lässt. Erkki Huhtamo schreibt eine Geschichte der Berührung, des 'touchs' als Parallele zur interaktiven Kunst. Dieter Daniels unternimmt den Versuch, zwischen Marcel Duchamp und Alan Turing über deren Verhältnis zum Schachspiel und zum Sex eine Verwandtschaft zu konstruieren. Der Herausgeber Oliver Grau findet in optischen Schauspielen wie der Phantasmagorien und den Magic Lanterns Vorläufer digitaler Illusionsmedien.
Der Beitrag von Gunalan Nadarajan macht auf ein arabisches Werk über Mechanik und Maschinen von 1206 aufmerksam, lesenswert obwohl - oder gerade weil - er bei der Geschichte Al-Jazaris bleibt und keine Verbindungen zur Medienkunst erzwingt.
Ryszard Kluszczynski verfolgt die Transformationen der Medienkunst vom Kino zur Interaktion und schreibt über CyberKultur, ohne populäre Videoportale wie Youtube oder Joost auch nur zu streifen.
In einer Passage vom Materiellen zum Interface sucht und findet Louise Poissant Parallelen zwischen Philosophie, Technologie und Kunst. Materialität wird ebenfalls zum zentralen Thema in dem Text von Christiane Paul, der fragt, wie immaterielle und prozessuale Werke der Medienkunst konservatorisch behandelt werden können.
In einem sehr lesenswerten und informativen Beitrag beschreibt Machiko Kusahara die Eigentümlichkeiten japanischer Medienkunst und prägt für die Vorliebe zum Waren-Objekt und zur Unterhaltung den Begriff 'Device Art'.
Frei von der Beschränkung auf Medienkunst hinterfragt Ron Burnett den Begriff der Interaktivität als problematischer Wortprägung und wirft zugleich einen erhellenden Blick auf künftige kulturelle Entwicklungen.
Mit der Überschrift 'Abstraktion und Komplexität' wandelt Lev Manovich auf den Spuren von Wilhelm Worringer, um sich in den ästhetischen Untiefen generativer Grafik zu verlieren. Wie Geschichte konstruiert wird, nicht zuletzt durch und mit Hilfe neuer Medien, zeigt Timothy Lenoir am Beispiel von Nanotechnologie und Bioinformatik.
"There are no visual media" behauptet W.J.T. Mitchell, wobei er sich einerseits auf Marschall McLuhan beruft, dem Fernsehen haptisch erschien, und andererseits auf die Tatsache, dass fast alle Bildmedien nicht exklusiv visuell sind, sondern auch Ton und Text umfassen.
Als produktive künstlerische Einschränkung betrachtet Douglas Kahn den Umstand, dass am Beginn der Medienkunst Rechenkraft nur sehr eingeschränkt verfügbar war, was die Künstler der frühen Computerkunst einem Effizienzdruck aussetzte.
In dem Schlussaufsatz wendet sich Barbara Stafford gegen die Dominanz des Narrativen und sieht die größte Herausforderung unserer Zeit auf den Spuren der Quantenphysik in der Abbildung von Wahrscheinlichkeiten und Unsicherheiten.
Mit der Disparatheit seiner Beiträge wird der Band dem Plural „Histories“ gerecht. Die Bemühungen, Medienkunst als Genre und akademisches Forschungsobjekt zu etablieren, führen stellenweise zur Beschränkung der Akteure auf das eigenste Interesse. Wo es dem Buch dagegen gelingt, den engen Rahmen der Medienkunst zu überschreiten, wartet es bsiweilen mit erhellenden Erkenntnissen auf.
Oliver Grau (Hrsg.): Mediaarthistories. The MIT Press, Cambridge (MA) 2007