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Lügen Bilder?

Reiche geht von einem grundlegenden Dilemma der Bilder aus. Weil fremde und entfernte Wirklichkeiten nicht unmittelbar erfahren werden können, treten Bilder an ihre Stelle. Die Bilder aber können nur einen Ausschnitt dieser Wirklichkeit wiedergeben. Damit werden sie, ob sie wollen oder nicht, zu Akteuren der Lüge. In seiner Dämonisierung der Bilder übersieht Reiche, dass nicht-visuelle Kommunikationsformen von derselben Kritik nicht weniger betroffen sind.

Aber ein weiteres Argument kehrt sich nun gegen die Bilder. „Das Auge siegt über das Ohr. Bild schlägt Ton.“ Bilder treten an die Stelle der Begriffe. Sie sind mächtiger als Worte. Sie lenken die Aufmerksamkeit. Sie füllen Nachrichten mit Emotion. Tatsächlich finden Informationen, die keine Bilder mit sich bringen, immer weniger Beachtung. Aber der Umkehrschluss, dass es die Bilder sind, die die Nachrichten manipulieren, lässt sich daraus nicht ableiten. Der Wille zum Gebrauch der Bilder beginnt nicht bei den Bildern. Sie sind die Mittel und Symptom, aber keine Ursache.

"Film und Foto zeigen die Welt, wie sie gesehen werden soll", reformuliert Reiche seine These und erkennt damit an, daß es Akteure hinter der Politik der Bilder gibt. Aber im Kern enthält der Satz eine Verschwörungstheorie des Visuellen. Als ob wir nicht mit einer Vielfalt von Bildern konfrontiert werden, sondern nur mit einer einzigen Perspektive. Reiches Warnung vor den Monopolen der Medien und der Einseitigkeit ihrer Bilder ist allerdings nicht aus der Luft gegriffen.

Die Verhaftung von Saddam liefert ein gutes Beispiel für eine geplante politische Inszenierung. Nach dem visuell verunglückten Sturz der Saddam-Statue in Bagdad, gab es für den Fall seiner Verhaftung geradezu ein Drehbuch. Auf keinen Fall sollten Bilder eines Märtyrer an die Öffentlichkeit gelangen. Würde man ihn tot finden, so müsste er bildlos verschwinden. Ergriff man ihn lebend, so hatten Bilder die Aufgabe, den Herrscher zu erniedrigen. Die Pathosformel der Macht wurde durch das Bild, das Saddam bei der Entnahme von Speichel zeigt, gezielt gebrochen. Gerade jene Untersuchung, die seine Identität sichern sollte, diente als Bildnachricht dazu, ihn seiner Herrscherfunktion visuell zu entkleiden. Reiche macht auf den Umstand aufmerksam, dass die Bilder von Herrschern stets stereotype Formeln zeigen. Es genügt ein einziges Gegenbild um die visuelle Fassade der Macht zu sprengen.

Seine Aussagen zur Politik der Bilder erschöpfen sich aller Eindrücklichkeit der Beispiele zum Trotz oft im Pauschalen. „Die Kluft zwischen der Wirklichkeit und der medial vermittelten Fiktion wird größer.“ Dass die manipulierten Bilder uns eine falsche Vorstellung von der Wirklichkeit vermitteln, geht von einigen ungesagten Annahmen aus. Dass es diese Wirklichkeit als objektiv bestimmbare gibt, wie einen Kern, der jenseits der Darstellung das Wesen eines Ereignisses enthält. Und dass die Gegenwart vor Ort dazu beiträgt, die Wahrheit eines Ereignisses zu erkennen. Beide Annahmen sind zweifelhaft. Nähe trägt nicht unbedingt zur Erkenntnis der Wahrheit bei. Ursachen und größere Zusammenhänge zeigen sich oft nur aus einer gewissen Distanz. Allzu große Nähe kann sie verschleiern. Als Beispiel dafür erwähnte Reiche selbst die zahlreichen bebilderten Weblogs. Das vermeintliche authentische Bild der gegenwärtigen Erfahrung gleitet in private Sensationsgier ab. Ereignisse werden zu Bild-Spektakeln verkürzt.

Der Wirklichkeit wird man damit nicht habhaft. Aber steht in Frage, ob es die eine Wirklichkeit einem emphatische Sinn gibt. Sie kann sich in den Konstruktion einer Vielzahl von Beobachtern brechen, die jeweils andere Wirklichkeiten erfahren. Und selbst die Summe der Erfahrung verhilft nicht unbedingt dazu, die Zusammenhänge hinter den Ereignissen zu verstehen. Hier helfen Bilder nicht weiter als Worte.

So polarisierend und irreführend die Warnung Reiches vor der Macht der Bilder erscheinen - die Forderung, die er daraus ableitet, sind nicht falsch. Eine zunehmende visuell geprägte Welt, verlangt nach einer Erziehung des Sehens und einer Wissenschaft der Bilder.