46503859_2402330266449166_1031355818252959744_o.jpg

Neues

Neuigkeiten von uns und unseren Partnern

 

Das Unsichtbare sichtbar machen

Das Bild setzt sich zusammen aus einem prinzipiellen Transferprozess mit der Transferfunktion. Dieser wird gefaltet mit einer technologischen (in diesem Fall elektronischen) Transferfunktion und dem subjektiven Transferprozess desjenigen, der das Bild mit einer bestimmten Technik generiert, mit der Funktion. Am Ende steht der Rezipient, der natürlich auch ein Bild auf unterschiedliche Weise betrachten und interpretieren kann. Alle Transferfunktionen können im Prinzip in komplexen vierdimensionalen Matrizen mit 3D Raum- und einer Zeitkoordinate dargestellt werden. 

Zu P: P bezieht sich auf die physikalische Realität von Teilchen und ihre Erkennbarkeit in einemMessprozess.Da wir es hier mit sehr kleinen Teilchen zu tun haben, müssen wir uns mit der prinzipiellen Unschärfe eines bildgebenden Erkennungsprozesses auseinandersetzen, so wie es Heisenberg in seiner berühmten Unschärferelation formuliert hat:Ortund Impuls eines atomaren Teilchens lassen sich nicht gleichzeitig exakt messen. Dies bedeutet für unser Bild, dass P die Mehrdeutigkeit einer Aufenthaltswahrscheinlichkeit beinhaltet. Das Bild von einem Atom kann demnach nicht aus genau lokalisierbaren Elektronen, quasi aus »Kügelchen«, bestehen.Was wir vielmehr in unseren Aufnahmen als Repräsentation eines Atoms sehen, ist eine verschwommene Wolke, die eine prinzipielleUnschärfe des Aufenthaltsortes widerspiegelt, nicht aber eine Unzulänglichkeit unseres Messinstruments darstellt. 

Zu T: Die jeweilige Technik, mit der das Ausgangsobjekt von einer Maschine oder einem speziellen Apparat aufgenommen wird, ist entscheidend für die Weiterverarbeitung der Daten und letztlich für das vom Rezipienten wahrgenommene Bild. Die Transfermatrizen können völlig unterschiedlich und komplex sein, je nachdem was die verschiedenen Techniken vorgeben.

Eine solche Matrize kann zum Beispiel Datenreihen in ein Klangbild aus einzelnen Tönen verwandeln. Sie kann aber auch aus einer Linse, einem lichtempfindlichen Film hinter einer Lochblende oder einem Mikroskop im Fernfeld bestehen. Bei der Abbildung von Atomen mit dem Rastertunnelmikroskop bedient man sich einer nahfeldmikroskopischen Technik.

Zu S: Das Ergebnis der technischen Transferfunktion hängt von der Art der Technik ab, mit der gearbeitet wird. Die Auswahl ist einerseits subjektiv bestimmt, andererseits eignet sich nicht jede Technik für jede Beobachtung. Es liegt auf der Hand, dass ein Atom mit einem optischen Mikroskop nicht darstellbar ist. Ein Atom kann aber auch im Abbild eines Rastertunnelmikroskops anders aussehen, als im Abbild eines Rasterkraftmikroskops. Die Ursache dafür liegt in der unterschiedlichen Art der Datenerzeugung. Erstellt das Rastertunnelmikroskop seine Daten auf der Grundlage von Messungen, die die Elektronentunnelwahrscheinlichkeit zwischen der Spitze einer Messsonde und dem Objekt misst, bezieht das Rasterkraftmikroskop seine Daten aus der spezifischen Kraftwechselwirkung zwischen den Atomen. Das Bildergebnis ist jeweils unterschiedlich, also nicht eindeutig. Es hängt von der Auswahl der jeweiligen Technik ab. Dieser Subjektivitätsfaktor S spielt eine umso größere Rolle, bedenkt man, wie die Auswahl von Bildern im wissenschaftlichen Bildkontext zustande kommt. Von einer Versuchsanordnung liegen in der Regel viele Bilder von ein und demselben Objekt vor, die allerdings aus vielerlei Gründen leicht voneinander differieren können, denn die Randbedingungen eines Aufnahmeprozesses sind nur bis zu einem gewissen Grade bekannt und reproduzierbar: So kann ein Molekül einmal in einem bestimmten Schwingungszustand aufgenommen worden sein und später in einem anderen. Manche Details bleiben gänzlich unbekannt oder nicht beherrschbar. Es stellt sich also bei der Verbildlichung kleinster Teilchen die Frage, wie diese tatsächlich aussehen. Was ist in Bezug auf die erhaltenen Daten für ihr Aussehen nicht charakteristisch und lenkt vielleicht nur von diesen ab? Welche Art der Bildgebung man bevorzugt kann darüber hinaus davon abhängen, welche charakteristischen Details man hervorheben möchte. In Anatomiebüchern hat man deshalb zum Beispiel bei der Darstellung von Details des menschlichen Organismus oft die Zeichnung der fotografischen Abbildung vorgezogen. Das ist vergleichsweise einfach, hat man doch die eigene Anschauung als Korrektiv. Woran aber soll man sich bei der Verbildlichung eines bisher gänzlich unbekannten, unsichtbaren Objektes halten,wie das bei einem Atom oder Molekül der Fall ist? Oftmals wählen Wissenschaftler aus einer Vielzahl von Abbildungen das schärfste Bild aus, manchmal auch einfach dasjenige Bild, das sie subjektiv als das »schönste« empfinden. Auch die Farbgebung der erzeugten Bilder ist künstlich geschaffen, da Atome selbst keine Farbe besitzen. Das betrifft sowohl die Dynamik der Farbabstufungen als auch die Schwellenwerte. In unserer Formel muss also die Transferfunktion S die jeweiligen Bildverarbeitungsalgorithmen berücksichtigen.

Zu R: Bilder werden von verschiedenen Personen natürlich auch unterschiedlich interpretiert, je nach Vorwissen, Geschmack, Sehgewohnheit und der wissenschaftlichen Tradition, in der sie sich befinden. In unserer Vorstellungswelt sind wir kulturell vorbelastet. So wird heute noch unser Bild vom Atom von der Annahme Demokrits bestimmt, der sich Atome als kugelförmige Teilchen vorstellte. Wenn ich in einem Vortrag Realraumbilder von Atomen zeige, sieht das Publikum zunächst immer erst runde Kugeln. Aber was bedeutet rund auf atomarer Ebene?Grundsätzlich stellt sich die Frage, ob man Atome nicht auch ganz anders darstellen könnte, etwa in Form von mathematischen Formeln, so wie das ein theoretischer Physiker machen würde.

Eine solche Formel könnte ein Teilchen definieren, indem sie dessen Aufenthaltswahrscheinlichkeit beschreibt. Eine andere Möglichkeit bestünde beispielsweise im Abbilden von Zahlenreihen, die die Spannungswerte beim rastertunnelmikroskopischen Abtastvorgang in Dezimalzahlen übersetzen oder eben in einem atomaren Klangbild, bei dem die einzelnen Messdaten in Tonreihen übertragen werden.

Es ist also relativ, wenn wir im Zusammenhang mit naturwissenschaftlicher Bildgebung von Objektivität sprechen.

(aus: Hubert Burda, Christa Maar (Hg.): Iconic-Turn. Die neue Macht der Bilder, Köln: DuMont 2004, S.136-139)

Wahrnehmen, WirklichkeitW. Heckl