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Das technische Bild

Im Rahmen des Projektes werden einzelne Forschungen vorangetrieben, etwa zur Nanotechnologie, zu Röntgenbildern oder Illustrationspraktiken im 17. Jahrhundert. Vieles davon ist Teil eines von der DFG finanzierten Langzeitvorhabens zu Visualisierungsstrategien in den Naturwissenschaften.
Wir stellen uns nicht die Aufgabe, sämtliche "technischen Bilder" abzudecken, sondern gehen fragenspezifisch vor, orientiert an einzelnen Projekten. Die Datenbank soll bestimmte Probleme repräsentieren, ohne sie unbedingt vollständig zu sammeln. Also etwa das Problem dynamischer Bilder, das zusehends in Bildgebungsprozessen aufkommt. Es werden dabei riesige Bilddatenmengen zusammengetragen, in denen nicht das einzelne Bild zählt, sondern nur Verläufe. Sie werden protokolliert und können verschwinden, wenn die Prozesse erfasst sind. Oder auch die Milliarden von Bildern, die von irgendeiner Marssonde gefunden werden: es ist nicht unsere Aufgabe, sie zu archivieren.
Es geht eher darum, repräsentative Bildbeispiele zu finden, Screenshots oder andere Repräsentationsformen.

SH: Welche Rolle spielt die Datenbank, mit der ihr arbeitet?

MB: Die Datenbank ist zentral. Für lange Zeit war sie das wichtigste Projekt. Wir haben mit der Datenbank unsere Begriffe strukturiert. Es hat die ersten Jahre in Anspruch genommen, diese Struktur zu bearbeiten.
Wir haben damit ein gemeinsames Arbeitssystem, in das die Beteiligten ganz unterschiedliche Inhalte einfügen. Eben die, die sie für ihre eigenen Forschungen benötigen. Sie spiegeln die Interessen des Projekts wider. Es sind keine Daten, die von einer Redaktion für einen bestimmten Zweck bereitgestellt werden. Die Datenbank bildet vielmehr die Forschergruppe ab.
Zugänglich gemacht wird sie für Forscher, die sie einzusetzen wissen. Andernfalls passiert das, was immer passiert, wenn man etwas online stellt: Es gibt eine Suchmaske, man gibt seine Suchbegriffe ein, und dann geht es nur noch darum, was man herausziehen kann. Es stellt sich eine Art Konsumentenhaltung ein. Daten werden dann nur passiv bezogen

AF: Bei der Arbeit mit der Datenbank verfolgen wir nicht das Ziel, ein möglichst großes Bildarchiv ins Netz zu stellen, sondern unsere Datenbank ist eher eine Forschungsdatenbank, mit der wir in erster Linie unser Material erfassen und nach unseren Strukturen sortieren. Wenn wir ins Netz gehen, dann können wir vor allem Zugang für Forscher anbieten, die das Material in ähnlicher Weise wie wir nutzen.

MB: Der Begriff "Datenbank" führt vielleicht ein wenig in die Irre. Weil es sich eigentlich um ein Bildatlasprojekt handelt, ein Kartierungsprojekt. Ähnliche wie bei dem Bildatlas von Warburg, wo es ja auch darum ging, erst einmal die Repräsentanten zu finden, die das Problemfeld abstecken, veranschaulichen und Vergleichsmöglichkeiten eröffnen. Die bildlichen Assoziationen können dabei auch ganz wilder Natur sein, um überhaupt zu zeigen, wo die weißen Flecken sind. Einen solchen experimentellen Charakter sollte die Datenbank auch haben. Um überhaupt erst einmal zu schauen, was denn die Spezifika technischer Bilder sind. Mittlerweile gibt es einen Thesaurus von etwa 1.000 Begriffen. Zum Teil sind sie ganz konventionell, also Begriffe wie „Medium“, „Bildträger“, „Entstehungsort“.
Oder aber auch ungewöhnlich - etwa um zu beschreiben, wie bestimmte naturwissenschaftliche und technische Bildgebungsverfahren Methoden der Geometrisierung oder der Farbgebung verwenden. Dadurch ist ein Thesaurus entstanden, der sich verselbständigt. Man arbeitet damit und sucht nach Beispielen, um etwas deutlicher zu machen. Hin und wieder gibt es eine Revision. Wenn wir Dinge finden, die den eigenen Begriffen oder Vorstellungen widersprechen.

SH: Was war die letzte größere Revision?

MB: Das betraf die "Zeichnung". Erst wurde das Schlagwort „Zeichnung“ aufgelöst in Bildträger und Zeicheninstrumente. Dann stellte man fest, dass Zeichnung doch als Suchwort wichtig ist und führte es wieder ein.

SH: Ist der Ansatz von Warburg ein explizites Vorbild?

AF: Indirekt schon, weil in der Datenbank assoziative Verknüpfungen vorgesehen und möglich sind. Vergleichbar mit einer systematischen Bibliotheksordnung, in der auch das Nebeneinander von Büchern wichtige Informationen für den Bibliotheksbenutzer ergibt, ein Prinzip der guten Nachbarschaft, wie Warburg das formuliert hat. Die Verknüpfungen von Bildobjekten in der Datenbank haben einen ähnlichen Effekt. Sie bilden eine Art systematische Ordnung, die Verbindungen zwischen ganz unterschiedlichen Bereich herstellen kann. Man kommt auf diese Weise zu Gegenüberstellungen, die assoziativ wirken und provoziert Vergleiche, die allein aus der Struktur der Datenbank entstehen.

MPr: Manchmal ergeben sich ganz schlagartig Verwendungen von Bildern und formale Verbindungen von Themen, an die man vorher nicht gedacht hat. Etwa wenn in einem einzelnen Forschungsprojekt ein Motiv auftaucht, das bei einem anderen Forschungsthema auch einen wichtiger Aspekt darstellt.

MB: Peter Geimer hat einmal den Vorwurf erhoben, dass aus der Methode des "vergleichenden Sehens" so etwas wie "Gleichheit aus Versehen" geworden wäre. Weil das Nebeneinanderstellen von Bildern auch suggestive Wirkungen erzielt. Zudem werden Größenverhältnisse und materielle Aspekte ignoriert zugunsten einzelner ikonischer Strukturen, die man nur dem ersten Anschein nach vergleichen kann. Das führt natürlich zu Problemen. Auf der anderen Seite können assoziative Brücken geschlagen werden, die vielleicht gar nicht im Sinn des Erfinders waren, und sich trotzdem als fruchtbar erweisen. Es ist unerlässlich, sich sprachlich zu vergegenwärtigen, was man sieht. Das ist die wichtigste Aufgabe der Ikonologie. Begriffe zu finden, nicht zu darauf zu vertrauen, die Bilder würden es von sich aus sagen. Was wäre eine hochauflösende Satellitenaufnahme ohne den Hinweis, dass sie aus über 100 Kilometern Höhe aufgenommen wurde? Ein Rückzug auf die Vorstellung von der Macht der Bilder würde nicht reichen.

AF: In der Datenbank arbeiten wir aber nicht vorrangig mit Ähnlichkeiten. Wir waren viel eher an Unähnlichkeiten interessiert. Es ging uns bei der Erarbeitung unsere Datenbankkriterien nicht um die Herstellung von Identitäten, sondern auch um die Provokation von Fragen, um Reibungsflächen, Brüche und Diskontinuitäten.

SH: Unähnlichkeiten in welchem Sinn?

AF: Wenn man zum Beispiel in der Datenbank eine bestimmte Bildtechnik abfragt, werden oft völlig unterschiedliche Bildmotive miteinander konfrontiert. Dann ergeben sich keinesfalls auf den ersten Blick Ähnlichkeiten, sondern oft stellt sich die Frage: wo ist die Schnittstelle? Wo schreibt sich die Technik in die Oberfläche ein? Oder ist das überhaupt nicht der Fall.

MB: Ich persönlich plädiere für ein ganz stark historische Perspektive. Wo kommen bestimmte Bildformen, Gerätschaften und Erwartungen her? Wie weit hat die Zeichenkunst dazu geführt, dass die Fotografie entwickelt wurde? Wie verhält sich Fotografie zu digitalen Medien?
Der Entstehungszusammenhang der Bilder ist sehr wichtig. Er hat viele Aspekte. Ich habe einmal auf einer Tagung gesagt: Die Gesellschaft ist ein bildgebendes Verfahren. Gesellschaft stellt Erwartungen an bestimmte Bildformen. Sie hat Bedürfnisse, die sich über den einzelnen Wissenschaftler im Labor genauso ausdrücken wie über die Massen von Leuten, die die Bildzeitung kaufen. Die Erwartungen werden an die Medien gerichtet, und die Medien sind Ausdruck der Erwartungen. Das kann dazu führen, dass es wissenschaftliche Interessen gibt, die sich auf ein Thema stürzen, nur weil man es gut bebildern kann. Und es kann sein, dass bestimmte wissenschaftliche Felder nicht die genügende Aufmerksamkeit erhalten, weil man für sie nicht die richtigen Bilder hat.

SH: Ergibt sich aus der Wichtigkeit des Entstehungszusammenhangs ein Widerspruch zur Ikonologie?

MB: Ich verstehe die Ikonologie nicht als eine konsistente Methode, eher als ein Art Klammer, einen Dachbegriff. Es gibt eine Verbindung zwischen Formtraditionen auf der einen Seite und Deutungsmustern von Bildern, die sich durch die Geschichte hindurch bewegen und diese Bedeutung weitertransportieren können – quer durch Jahrhunderte und unabhängig von den jeweiligen Medien. Auf der anderen Seite fordert die Ikonologie mit Warburg auch, dass man den kulturellen Kontext eines Bildes berücksichtigen muss, um es zu verstehen.
Dass die Ikonologie auch problematisch sein kann, zeigt sich, wenn sie dafür andere Entstehungszusammenhänge ausblendet, zum Beispiel sich nicht unbedingt darum kümmert, ob eine Briefmarke einmal oder eine Million mal gedruckt wurde, welche Wahrnehmungs- und Rezeptionsformen es in den Massenmedien gibt, keine Ansätze empirischer Sozialforschung oder von Medienforschung im weitesten Sinne berücksichtigt, nicht fragt, ob etwas fotografiert oder lithografiert wurde - solange nur das Motiv dasselbe ist. Diesen Vorwurf kann man sicherlich erheben. Aber dennoch: wenn die Lehre von der Bedeutung der Bilder einen Titel bekommen soll, dann würde ich sie Ikonologie nennen.

MPr: Die Frage nach der Technik ist in der Kunstgeschichte noch nicht so deutlich aufgenommen worden. Das aufzuarbeiten, wäre für mich eine Aufgabe des Projekts. Das bedeutet auch, zu untersuchen wie Bildtechniken und Ikonologie zusammenhängen.

SH: Was versteht ihr unter technischen Bildern?

AF: Apparativ hergestellte Bilder und Bilder, die in ganz festgelegten funktionalen Zusammenhängen stehen. Deshalb zählen die Bilder der Wissenschaften dazu. Ebenso wie Zeichnungen. Wir machen das Technische nicht an der Maschine fest, sondern an der Funktionalität von Bildern.

MB: Es geht uns nicht darum, zu definieren, was das technische Bild ist. Es ist ein gemeinsames Thema mit zwei oder drei verschieden Perspektiven. Einmal gibt es die technisch erzeugten Bilder. Also die Frage nach der apparativen Entstehung und Herkunft der Bilder. Dann genauso gut die Perspektive der Naturwissenschaften. Die technische Abbildung als Genre, als Gattung. Oder auch von dem Reproduktionsmedien her begriffen, die für die Verbreitung von Bildern sorgen.

SH: Macht ihr einen Unterschied zwischen öffentlichen und streng funktionalen Bildern?

MB: Beide hängen eng miteinander zusammen. Horst Bredekamp ist davon überzeugt, dass der Druck, Bilder zu benutzen, um Forschung zu visualisieren, so groß geworden ist, dass ein Teil der Wissenschaft nur um dieser Bilder willen stattfindet. Die Bilder verselbständigen sich. Bilder, die Sachverhalte illustrieren sollen, erhalten eine solche Macht, dass man anfängt, Forschung darauf auszurichten, sie zu bestätigen oder zu widerlegen. Manche Kampagnen der Raumfahrt werden nur noch gestartet, um Bilder zu beschaffen, sie als PR zu veröffentlichen. Ich würde daher Bilder im Labor und Bilder der Öffentlichkeit nicht als Gegensatz sehen. Es gibt Bilder, die gezielt nach außen gereicht werden, und andere, die nur im kleinen Kreis betrachtet werden. Aber beide überlagern sich. Wir kennen Bilder, bei denen niemand damit gerechnet hat, dass sie zu Ikonen werden, zum Beispiel die Abbildung der DNA-Struktur. Die Form der Wendeltreppe ist zum Symbol der Beherrschbarkeit des Gencodes geworden, weil sie so anschaulich war. Im Nachhinein werden um eine solche Bildfindung Mythen gestrickt.

SH: Macht ihr Feldforschung, um zu sehen, wie Wissenschaftler mit Bilder umgehen?

AF: Wir treffen uns fast regelmäßig mit Naturwissenschaftlern, die uns ihre Arbeitsgebiete und ihren Umgang mit Bildern erklären. Laborzusammenhänge geben vor, wie Wissenschaftler zeichnen oder digitale Bilder herunterbrechen oder wann sie mit Folien arbeiten. Dabei interessiert uns vor allem, wie Bilder auch im Erkenntnisprozess wichtig sind und nicht nur der öffentlichkeitswirksame Effekt von Bildern. Die meisten Wissenschaftler, die wir treffen, haben ein sehr hohes Bildbewusstsein und wissen sehr genau, was sie tun. Für uns ist es aufschlussreich zu sehen, wie sie mit Bildern arbeiten. Als Kunsthistoriker gehen wir oft völlig anders vor. Für uns ist es ein Lernprozess, wenn wir uns etwa mit Neurologen oder Biologen unterhalten oder auch erleben dürfen, wie sie sich über Visualisierungsstrategien streiten. Wir sind dann allerdings weniger Feldforscher, eher Lernende, Zuschauer.

SH: Wie steht ihr zu den entstehenden Bildwissenschaften?

MB: Unser Projekt hat seine Herkunft in der Kunstgeschichte, ist aber deshalb kein rein kunstgeschichtliches. Es versucht, Lücken und Desiderate zu benennen. Wir stellen nicht den Generalanspruch, das Thema in all seiner Breite abzudecken. Wichtig ist uns, Anschlüsse anzubieten, über die andere Disziplinen mit der Kunstgeschichte reden können. Das bringt alle beteiligten Fächer voran, ohne dass es unbedingt einer neuen Bezeichnung bedürfte.

MPr: Es macht keinen Sinn, die „eine“ Methode zu suchen. Die geeignete Methode hängt auch immer vom jeweiligen Bild, vom Kontext und vom Forschungsinteresse ab. Es geht daher eher darum, jeweils einen Methodenmix zu finden.

MB: Selbst der Bildbegriff hat verschiedene Bedeutungen, die sich auch wieder an den Kontexten orientieren. In anderen Sprachen gibt es nicht nur einen Bildbegriff, siehe im Englischen picture und image. In den Methodenstreit um das Verhältnis von "Bildwissenschaft" und "Kunstgeschichte" wollen wir uns nicht einmischen. Wir gehen eher empirisch vor und bieten eine Plattform, um verschiedene Seiten miteinander ins Gespräch zu bringen.
Es gibt verschiedene Disziplinen der Bilder. Sie können sich überdecken, müssen es aber nicht. Ein Restaurator schaut zum Beispiel auf dasselbe Gemälde wie der Museumskurator und sieht doch etwas ganz anderes. Man kann ein und denselben Gegenstand durch verschiedene Disziplinen betrachten und muss notgedrungen zu ganz verschiedenen Ergebnissen kommen. Aber genau das ist ja mit "Disziplin" auch gemeint: sie soll den Blick in eine bestimmte Richtung schärfen.

Das Interview führte Stefan Heidenreich.