Mediale Emotionen
Es war eine kluge Entscheidungen der Herausgeber, ihrer Sammlung einen klassischen Text von Henry James voranzustellen: „Was ist eine Emotion?“ Berühmt wurde er durch die Thesen „dass wir uns traurig fühlen, weil wir weinen, wütend sind, weil wir zuschlagen, ängstlich sind, weil wir zittern.“ Die Umkehrung der gewöhnlich angenommenen Kausalität im Gefühlshaushalt beherrscht allerdings nicht das gesamte Buch. Die meisten Autoren stützen sich auf den Ansatz von Peter Lang vor, demzufolge es sich bei Emotionen um „in Netzwerke eingebettete Handlungsdispositionen“ handelt. Deren Verhältnis zu den Bildern wird teils in einer Funktion der Mimikry, teils in einer der Auslösung gesucht. Methoden der empirischen Psychologie kommen zum Einsatz, um die emotionale Wirkung der Bilder in Versuchsreihen zu überprüfen.
Es wäre nicht uninteressant gewesen, den Ansatz von Henry James an dieser Stelle ernster zu nehmen, und zu überlegen, ob sich die Umkehrung im Alltagsverständnis von Handlung und Gefühl nicht auch zwischen Bildern und Emotionen beobachten lässt. Also etwa so: wir betrachten den Isenheimer Altar, weil wir Ehrfurcht zeigen wollen. Wir sehen uns den Film von Riefenstahl an, weil uns danach zumute ist. Wir spielen das Spiel der US-Armee, weil wir wütend sind.
Tatsächlich erscheint die Auswahl der Beispiele unter diesem Gesichtspunkt mehr als eigenartig. Aus der Auswahl der drei exemplarischen Bildgegenständen spricht eine Vorliebe für martialische Emotionen, die zudem nationalistisch übercodiert sind. Man hätte vielleicht besser eines der erfolgreichen Shooter- oder Strategie-Spiele untersucht, etwa Unreal Tournament, auf dessen Grafik-Algorithmen die Bilder von „America’s Army“ ohnehin zurückgreifen.
Leider fehlt fast vollständig der Bezug auf Bildwelten, die in anderen als mehr oder weniger gewalttätigen, pathetischen oder kultischen Zusammenhängen erscheinen. Dazu zählen unter anderem die emotional hoch effektiven Bilder der Werbung. Ein Unterscheidung zwischen belastenden und entlastenden Bildern, eine gewisse Balance der Emotionen wäre nicht nur dem medialem Erscheinen der Bilder, sondern auch der Breite ihrer möglichen Emotionen gerechter geworden.Die Entscheidung, sich auf einige Schlüsselwerke zu konzentrieren, hat allerdings den Vorteil, dass sich die Aufsätze sehr detailliert mit ihrem Gegenstand befassen können. Der Ansatz der Untersuchungen folgt im wesentlichen einer psychologisch erweiterten Bildwissenschaft, die selten um eine historische (etwa bei Sigrid Weigel) oder eine kulturwissenschaftliche Perspektive (Holger Schulze, Burkhard Lindner) erweitert wird. Es hätte nichts geschadet, der Theorie der Affekte von Gilles Deleuze mehr Platz einzuräumen oder den klassischen Text aus dem Jahr 1916 „The Film: a psychological study“ von Hugo Münsterberg zumindest zu erwähnen. Das Interesse nach einer Erweiterung macht deutlich, dass das Thema „mediale Emotionen“ gut gewählt ist und dass es dem Band gelingt, es zu erschließen.