Landschaft, Shooter, Architektur, Hirn und Mars
Die fünf Artikel in der neuesten Ausgabe von Image haben kein Tehma gemeinsam. aber ein verbindender Aspekt der meisten Texte ist die philosophische Relfexion über den Bezug zwischen Bild und Wahrnehmung.
„Landschaft ist ein Produkt einer ästhetischen Reflexion“, stellt die Autorin Beatrice Nunold knapp am Anfang ihres Artikels klar. Abgebildete Natur wird zur Sache des Betrachters und das Bild der Landschaft gibt einen mentalen Zustand wieder. Nunold greift auf die heideggersche Formulierung vom „In-der-Welt-Sein“ zurück, um Landschaft als inneres Erlebnis zu beschreiben. Aber Heidegger wäre vor einer derart subjektivistischen Wendung vermutlich zurückgeschreckt. Welt gilt ihm als etwas, das der Betrachter nicht einfach durch Reflexion verinnerlicht, sondern auf sich zukommen lassen kann.
In einer Tour-de-Force lässt Nunold die Philosophiegeschichte der inneren Landschaft vorbeiziehen. Sie macht drei Grundverhältnisse aus : das ontologische der Antike, das mentalitische der Neuzeit und das linguistische der Moderne. Der Abfolge entspricht ungefähr der Weg von einer symbolischen zu einer naturalistischen Darstellung von Landschaft und weiter zur Abstraktion und Moderne.
In der Gegenwart beobachtet Nunold einen weiteren Wandel: „Das Grundverhältnis zum Sein scheint sich zu verändern, von einem linguistischen zu einem ikonischen. Aus dem linguistic-turn wird ein iconic-turn.“ Man wüsste gerne genauer, woran die Autorin den Iconic-turn festmacht und wie sie ihn innerhalb ihrer philosophigeschichtlichen Reihe situiert.
Mit schwerem philosophischem Gepäck nähert sich Stephan Günzel der Frage nach dem Raum in Computerspielen, um am Ende des Textes die Spielerfahrung als Synthese verschiedener Bildansichten im Spiel zu begreifen“ zu beschreiben. Sie ist zusammengesetzt aus dem zentralperspektivischen Bild des Containerraums, der topographischen Ansicht von Karten und einem Spielraum, den er als „hodologisch“ bezeichnet.
Viel Arbeit verwendet der Autor darauf, die verschiedenen Darstellungsweisen zu unterscheiden. Wie in einem Gerichtsverfahren trägt er gar Indizien für die Existenz des Schützen zusammen, was etwas müßig erscheint. Denn allein die zentralperspektivische Darstellung reicht aus, um die Vorstellung eines Betrachters zu hervorzurufen, und die Kopplung von Maus und abgebildeter Bewegung tut ihr Übriges, um den Nutzer als Akteur ins Bild zu setzen.
Was Spieledesigner bewogen haben könnte, neben der zentralperspektivischen Darstellung eine Karte zu zeigen, erörtert der Autor leider nicht. Auch findet sich in der ausführlichen Literaturliste nicht ein einziger Eintrag, der das Feld der geisteswissenschaftlichen Disziplinen verlässt, um Auskunft bei Designern oder Produzenten von Games einzuholen. Als sei ein Spiel nicht ein bewusst entworfenes kommerzielles Produkt, sondern eine quasi gottgegebene Interpretationsvorlage für philosophische Gedankenspiele.
Der Autor schließt mit einem aufschlussreichen Hinweise auf den von Kurt Lewin eingeführten Begriff des „hodologischen Raumes“. Der Soziologe verstand darunter einen „Wegeraum“, auf dem alle Strecken eingetragen sind, die ein Mensch täglich zurücklegt. „Es ist dies der Erfahrungsraum des Spiels, der aus dem Wissen um den Standort im gesamten Spielgefüge resultiert.“ Es hätte sich gelohnt, diesen Gedanken noch weiter zu verfolgen.
Nach dem Vorbild des „Vocabulaire de'l architécture“ von Pérouse de Montclose (1972) schlagen die Autoren Mario Borillo und Jean-Pierre Goulette eine computerorientierte Formalisierung der Architektur vor. Ziel ist es, Brücken zu schlagen, sowohl zwischen der Sprache und dem mentalen Bild des Designers als auch zwischen Kognition und Philosophie.
So enthält beispielsweise der Begriff „Objekt“ drei Aspekte, die verschiedene Zugänge erschließen. Ein Objekt kann als ein architektonisches Element, eine räumliche Figur (spatial referent) und eine geometrische Beschreibung betrachtet werden. Die formale Sprache, die die Autoren präsentieren, gibt ein Gerüst vor, in dem Bauwerke als Kombination von Ausdrücken beschrieben werden können.
Am Beispiel der Abbildungsverfahren PET (Positionenemissions-Tomographie) und fMRT (Magnetresonanz-Tomographie) widmet sich Alexander Grau den Bildern vom Hirn. In Begriffen der Semiotik beschreibt er, wie Hirnforscher mit den so gewonnen Bildern umgehen. Nicht untypisch für den semiotischen Ansatz führt das zuerst zu einer ausführlichen Begriffsklärung. Den Hirnscans gesteht der Autor nicht denselben Status zu wie etwa einer Fotografie, da es sich um mehrfach nachbearbeitete Konstrukte handelt. Aus der Notwendigkeit, Daten zu filtern, um zu brauchbaren Abbildung zu kommen, folgert Grau, dass es sich weder um indexikalische noch ikonische Zeichen (wie z.B Fotos) handelt, sondern um exemplifizierende Symbole.
Grau fordert deshalb, dass eine wissenschaftstheoretische Auseinandersetzung sich „nicht auf die neurologischen, physikalischen oder verfahrenstechnischen Probleme konzentrieren, die diese Techniken mit sich bringen, sondern (...) kunstwissenschaftliche, semiotische und bildwissenschaftliche Perspektiven mit einbeziehen“ muss.
Im letzten Artikel beschäftigt sich Elize Bisanz mit Bildern vom Mars. Ihre Argumentation weist Ähnlichkeiten zur eingangs besprochenen Studie über Landschaften auf. Denn auch sie liest die Bilder des Planeten als inneres Erlebnis. „Sind die wunderschönen Bilder des Planeten Mars ein Produkt unserer visuellen Projektionen unserer Kreativität oder sind sie virtuelle Bilder, Simulakren, die in unsere geistige Welt eindringen und Möglichkeiten für neue visionäre Territorien öffnen?“ Dass es sich um Abbildungen eines Gegenstandes handelt, spielt bei ihren Überlegungen keine Rolle. Einmal mehr tritt ein wahrnehmendes Subjekt, heideggerianisch als „Dasein“ betitelt, zwischen Ding und Bild, um als Ausgangspunkt einer theoretischen Reflexion zu dienen.
Zweifelsohne richtig ist ihr Hinweis, dass als Bilder vom Mars nicht einfach Rohdaten gezeigt werden, sondern auf vielerlei Weise bearbeitete und gefilterte Artefakte. Ob sie dadurch allerdings derart fiktiv werden, dass sie jeden Bezug zu ihrem Objekt verlieren und als rein imaginäre Objekte unserer Anschauung betrachtet werden können, bleibt mehr als fraglich.
Abb. 1: Gerhart Richter: Chinon, 1997, Öl auf Leinwand, 200×320, Centre Pompidou, Paris
Abb. 2: Screenshot, Halflife 2