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Kunstgeschichte und Bildwissenschaft

In der Süddeutschen Zeitung (leider nicht online) macht sich heute Jutta Göricke Gedanken zum Verhältnis von Kunst- und Bildwissenschaften.

Die Veränderungen der Kunstgeschichte illustriert sie mit einem gelungenen Bild. Lang ist es her, dass man Stilleben nur als Zeichen der Vanitas gelesen hat, der Eitelkeit und Vergänglichkeit. Heute zählt auch dort eher Curiositas, die Neugier, und die abgeschälte Zitronenschale zieht gedanklich in die Anatomischen Theater ein.

Vielleicht ginge es auch noch etwas gegenwärtiger, war doch die Zitrone Handelsgut in Amsterdam, dem Zentrum nicht nur der Stillebenmalerei, sondern auch des globalen Handels , wo die ersten Börsen ihre Höhenflüge und Kursstürzen erlebten.

Die Kunstgeschichte, so Göricke, droht in drei Lager zu zerbrechen: das der Traditionalisten, die sich um Stil und Provenienzen kümmern, das der historischen Avantgardisten, die den Interpretationsrahmen von Kunstwerken um Naturwissenschaften in die Technikgeschichte erweitern, und das der ahistorischen Bildwissenchaften, die keinen Unterschied mehr machen zwischen der Venus von Botticelli und der Ultraschallaufnahme eines Oberbauchs.

Bildwissenschaften dagegen stellen sich der Flutwelle der technischen Bilder, die sich zu Beginn des letzten Jahrhunderts aufgebaut hat und seither den Globus überschwemmt. Iconic Turn.

Ob das Bild einer Flut und die damit herauf beschworenen Ängste tatächlich der Wende zum mIkonischen entsprechen, kann man bezweifeln. Hier spricht sorgenvoll die Kunsthistorikerin, die einen Umbruch auf sich zukommen sieht. Nicht zuletzt weil Kunst und Bild zwei verschiedene Gegenstände geworden sind.

Kunstwerke sind nichts Besonderes mehr und drohen unter die Räder zu kommen - wie es etwas bei den 'Visual Studies' in den USA schon der Fall ist. Und die historische Anbindung geht ganz flöten.

Tatsächlich steht das historische Paradigma, das die deutschen Geisteswissenschaften seit dem 19. Jahrhundert prägt, in Frage. Das heißt nicht, dass man auf Geschichte verzichten könnte. Doch den Gewinn der Visual Studies bilanziert Göricke nicht. Dass dort nämlich tatsächlich eine Auseinandersetzung mit den Bildern der Gegenwart stattfindet. Und damit  eine Wissenschaft entsteht,  die auch einen Blick voraus riskiert, auf jene Bildwelten, mit denen wir uns in der näheren Zukunft auseinander setzen müssen.

Das Fazit ihres Artikels schneidet denn auch einige Diskussionen ab, die noch zu führen wären. Bildwissenschaft braucht eine historische Perspektive, und daher braucht sie die Kunstgeschichte.
Damit hat sie sicher Recht. Die Opposition zwischen beiden Fächern nutzt niemandem. Aber der Nutzen der Geschichte für unsere Gegenwart will noch einmal bedacht und begründet werden. Sonst vergammelt die Zitrone am Ende doch.

Bild: Ausschnitt aus Willem Claesz Heda: Stilleben mit Nautilusbecher (1642)