Kunstgeschichte, Bildwissenschaft
Das ist im Hinblick auf die Frage, ob hier eine eigene Disziplin tätig werden sollte, allerdings auch das Problem, denn sie würde zwangsläufig interdisziplinär angelegt sein müssen - was ein Vorteil ist - andererseits so pluralistisch sein, dass die Gefahr einer Ausfransung gegeben ist, auch die eines "deskilling". Ich bin da ganz d'accord mit den skeptischen Einwänden von Thomas Crow und Rosalind Krauss, hoffe aber, dass sie zu neutralisieren sind, wenn man sich des Problems bewußt ist. Eben deswegen müsste man sich sehr genau überlegen, was Bestandteil einer solchen Disziplin sein kann und was nicht. Am sinnvollsten schiene es mir, die Bildwissenschaft als einen Aufbaustudiengang anzulegen, also etwa als einen M.A. oder als ein Promotionsstudium im Sinne der (nicht mehr vermeidbaren) neuen Studiengänge, in dem Studierende vertreten sein müssten, die aus unterschiedlichen Disziplinen kommen und sich systematischen Fragen widmen, die das Bild betreffen. Das hätte den Vorteil, dass erst einmal eine solide Basis da ist, also erst Disziplinarität und dann Interdisziplinarität. Die Kunstgeschichte könnte bei den anderen (Kultur)Wissenschaften einbringen, dass das Bild ein Konstrukt ist, das keine Transparenz auf den Gegenstand hat (gibt es den überhaupt?), sondern von vielfältigen historischen Faktoren und Kontexten bestimmt ist, (Macht)Interessen visualisiert und als Medium Bedingungen unterworfen ist, die sich an keiner einfach zu bestimmenden Objektivität messen lassen. Aber vor allem könnte sie, geschult durch künstlerisch wertvolle Gegenstände, auf die Notwendigkeit und den Wert eines genauen Hinsehens aufmerksam machen.
Welche Kenntnisse der Kunstgeschichte sollten in eine Bildwissenschaft einfließen? Welche lassen sich auf "Bilder" in einem allgemeinen Sinn anwenden? Wo besteht der Bedarf einer methodischen Eneuerung?
Die Kunstgeschichte müsste ihre historischen Bildkenntnisse einbringen und die Bildwelt der Gegenwart damit als eine eben auch durch die Geschichte bedingte erkennen. Wenn wir heute einen Staatsmann händeschüttelnd durch das Spalier eines fähnchenschwenkenden Publikums ziehen sehen, dann können wir das als das Resultat einer geschichtlichen Entwicklung begreifen, die seit dem 18. Jahrhundert den Herrscher privatisiert, vermenschlicht, entmystifiziert. Und erst, wenn man das sieht, erkennt man die Spezifik dieser Darstellungsweise und kann sie auf ihre Funktionen befragen. Das heißt auch, dass die Beschränkung auf Hochkunst-Bilder aufgehoben werden muss, wobei ich darauf hinweisen möchte, dass dies im Ansatz (und mehr als das) auch schon von der Ikonologie und der von der 68er Bewegung beförderten Sozialgeschichte der Kunst geleistet wurde.
Gibt es einen "iconic turn"? Worin besteht er?
Also wenn ich es richtig verstehe, ist damit ja wohl gemeint, dass mit der Entwicklung der elektronischen Medien die Präsenz des Bildlichen immer drängender wird, auf einer anderen Ebene aber auch, dass bildgebende Verfahren im weitesten Sinne des Wortes - also etwa auch Schemazeichnungen - mehr und mehr als Erklärungsmedien verwendet werden. Ob das gleich ein "turn" ist, weiß ich nicht, weil damit ja immer eine lineare Generalentwicklung behauptet wird, die sich bei näherem Hinsehen als deutlich vielschichtiger darstellt. Die Kunstgeschichte hat darauf in gewisser Weise mit neuen Deutungsverfahren reagiert, die sich von der vielfach textorientierten Ikonologie abwandten und in der sogenannten "new art history" Visualität als eigenen Wirklichkeitsbereich mehr ins Zentrum rückten - oder dies zumindestens beanspruchten.
Digitale Medien nehmen auch innerhalb der Kunstgeschichte einen immer größeren Platz ein. Sollten auch die Bilder in solchen Medien Gegenstand der Kunstgeschichte sein?
Wir haben hier am Institut eine Kollegin eingestellt (Dr. Katja Kwastek), die sich ausdrücklich um Medienkunst, -theorie und das digitale Bild in den Künsten kümmert, darüber sich auch habilitiert. Wenn wir in Zukunft verstärkt oder ausschließlich mit digitalen Reproduktionen arbeiten, scheint mir die Reflexion über das Medium, wie sie auch in den Künsten angestellt wird, unverzichtbar.
Hubertus Kohle lehrt Kunstgeschichte an der LMU München.(Das Interview führte Stefan Heidenreich)