Das Kino ist tot, lang lebe das Kino
Mit Peter Greenaway endete am 9. Februar die Reihe der Berliner Thyssen- Vorlesungen zur Ikonologie der Gegenwart. 111 Jahre lang hat sich das Kino, so der Regisseur, Maler und Autor, nicht weiter entwickelt. You have never seen cinema. Nach wie vor, so Greenaway, sei Kino nichts anderes als illustrierter Text.
Was sind die grössten Filme der letzten Jahre? Eine rhetorische Frage, die er umgehend selbst beantwortete: Harry Potter und Der Herr der Ringe, beide illustrierte Bücher. Seit 1920 tritt der Film auf der Stelle, findet nicht zum Bild.
Zum einen Mangel kommt im Kino ein zweiter: die falschen Filme sieht ein Publikum, das nie wirklich sehen gelernt hat. Das allgemeine Wissen über Bilder verharrt auf dem Kenntnisstand des Impressionismus. So bleibt das Kino eine Mischung aus Theater und Literatur, mit Glück kommt etwas Malerei hinzu.
Vor starken Thesen schreckt Greenaway in keinem Moment zurück. Sein enGlauben an die Avantgarden, an den Heroismus der Moderne vertritt er ungebrochen und mit dem festen Ziel, ihn auf das Kino übertragen.
Vier Tyranneien prägen das Kino der Gegenwart. Zur Tyrannei des Rahmens und des Textes tritt die des Schauspielers. Was ist ein
Schauspieler? Eine Person, gelernt hat, so zu tun gelernt als sei sie unbeobachtet. Ihre Haupttätigkeit? to fuck and to die.
Dazu kommt die Tyrannei der Kamera. Denn sie kann nichts anderes als aufnehmen als die äußere Welt. Aus diesem Grund habe Sergej Eisenstein den Comicfilmer Walt Disney als den einzig wahren Filmemacher bezeichnet.
Greenaway wäre nicht er selbst, hätte er nicht für alle aufgeführten Probleme Lösungen parat. Die Revolution der Bilderwelt entfaltet er exemplarisch in seinem neuesten Projekt The Tulse Luper Suitcase. Eine Episodengeschichte, erzählt in Gestalt von 92 Koffern, zugleich im Medium Film, als interaktive CD und als Computerspiel.
Nach den unerhörten Ankündigungen zeigte Greenaway ein Stück des neuen Films. Wie nicht anders zu erwarten, hieltn die Bilder seinem Anspruch nicht stand. Sie zeigten kittschiges, buntes Sprechtheater. Von der erhofften avantgardistischen Erweiterung des Kinos keine Spur.
Auf die abschließende Frage Gottfried Boehms, ob es nicht heißen müsste: Long live the picture wich Greenwaway mit dem Hinweis aus, Picture sei ein sehr eigenartiger Begriff. Die Feinheiten der englishcen Sprache wurden leider nicht weiter thematisiert. Man einigte sich ohne weitere Umschweife auf die Ersatzlösung Long live the image.