46503859_2402330266449166_1031355818252959744_o.jpg

Neues

Neuigkeiten von uns und unseren Partnern

 

Das Netz, die Zeit und die neue Öffentlichkeit

Manchmal braucht Denken Zeit. Vor zwei Jahren hielt der Philosoph Jürgen Habermas eine Rede in Wien. Und nun fand in Oldenburg ein Symposium statt, das die FAZ im Licht von Habermas' damaligen Aussagen genauer betrachtet.Und das dringend scheint nötig zu sein. Denn immerhin machte Habermas deutlich, dass das Internet die Struktur der neuen Öffentlichkeit prägt. Seine Warnung, warum das Netz dem Denken gefährlich wird, führt um zwei Ecken.Seine Warnung, warum das Netz dem Denken gefährlich wird, führt um zwei Ecken.
Denn zu begrüßen ist, so Habermas, dass die Umstellung der Kommunikation von Buchdruck und Presse auf Fernsehen und Internet zu einer ungeahnten Ausweitung der Medienöffentlichkeit und zu einer beispiellosen Verdichtung der Kommunikationsnetze geführt hat. Aber gerade die Breite, das Nicht-Exklusive und der Überfluss von Information droht zu Mängeln beim Inhalt zu führen.

In diesem Medium (Internet) verlieren die Beiträge von Intellektuellen die Kraft, einen Fokus zu bilden. Damit bleibt Habermas seinen Anfängen treu. Schon in seinem frühen Buch Strukturwandel der Öffentlichkeit behauptet er, dass die Medien im Laufe eines guten Jahrhunderts den nicht gerade vorteilhaften Weg vom Journalismus schriftstellernder Privatleute zu den öffentlichen Dienstleistungen der Massenmedien gegangen sind.

 

In Oldenburg macht man nicht das Internet für das Ende des Intellektuellen verantwortlich, sondern die Zeit. Genauer gesagt: den notorischen Mangel an Zeit. Die Ursache dafür sucht man mit Vorliebe in soziologischen Begriffen, sei es eine fehlerhafte Organisation von Prozessen, die Ökonomisierung noch des kleinsten Moments oder einfach eine allgemeine Tendenz zur Beschleunigung. Jeder Hinweis auf die Technologien der veränderten Zeit fehlt.

Dennoch gilt im Ergebnis dasselbe:
Das Hechelnde ist jedenfalls keine Zeitform, die dem Denken gut bekommt. Dort, wo das Hecheln im Medien- und Bildungsbetrieb die Leitgeschwindigkeit geworden ist, hat nicht nur der öffentliche Intellektuelle ein Fokus-Problem.

Die visuelle Metapher des Fokus gibt einen Hinweis auf die Wichtigkeit der Bilder in diesem Prozess der Beschleunigung. Ein Bild ist in einem Augenblick gesehen, Lektüre dauert. So richtet sich der eilige Blick des gehetzten, ehemals Leser genannten Rezipienten nur auf die Überschriften und die Bilder und lässt den Text beiseite. Bei all dem stellt sich die Frage, ob die neuen Techniken im Netz diese Neigung eher verschärfen oder nicht eher abschwächen.

Auf dem Habermas'schen Gleis hätte man hier noch um eine Kurve weiter denken können.
Welche Art von neue Öffentlichkeit entsteht? Wo tritt dem Vergehenden eine neue Struktur gegenüber? Wer spricht an dieser Stelle, wenn es nicht unbedingt der Intellektuelle klassischen Zuschnitts ist? Und in welcher Form kommen die Aussagen daher?

Es gibt im Netz nicht nur Beispiele, wie tatsächlich vernetzt gedacht werden kann, sondern auch Theorien dazu. Um nur zwei Beispiele zu geben: James Surowiecki beschreibt in
 The Wisdom of the Crowds, wie aus den Urteilen und Aussagen Einzelner ein gemeinsames Wissen entstehen kann. Mit explizitem Hinweis auf Habermas untersucht Yochai Benkler in The Wealth of Networks die Emergenz einer vernetzten Öffentlichkeit. Sein Fazit ist optimistisch: The networked public sphere is not only more resistant to control by money, but it is also less susceptible to the lowest-common denominator orientation that the pursuit of money often leads mass media to adopt. (S.259)

Breitere Streung und geringe Beeinflussbarkeit zeichnen nach Benkler die neue Öffentlichkeit im Netz aus. Von Mangel an Zeit ist bei ihm keine Rede. Als hätte das Zeitproblem und das Gefühl der unkontrollierten Beschleunigung viel eher damit zu tun, dem neuen Wissen mit überholten technischen MItteln gegenüberzutreten.

Bleibt noch eine letzte Bemerkung. Zieht man die Bilder als beschleunigendes Element hinzu, so wäre es an der Zeit, einen anderen, viel älteren Text wieder zu lesen, nämlich Heideggers Zeitalter des Weltbildes, um mehr über den Zusammenhang von Bild und Denken zu erfahren.