Bilder, Dinge und das Denken
Sprachspiele?
Das Zeichen kann ich aussprechen, aber es „bedeutet“ etwas anderes: ein Ding, ein Sachverhalt, ein Geschehen. Man möchte meinen, das käme davon, dass wir nur durch unsere Sprache denken können. Wir denken ja auch nicht Dinge, sondern wir denken von den Dingen, über die Dinge. Das allerdings können wir auch ohne Sprachzeichen: in Bildern, in bildlichen Abläufen. Auch die Bilder „sind“ nicht die Dinge, die Sachverhalte, die Geschehnisse, sondern bedeuten sie nur. „Analytisch“ gesprochen, besteht das Problem darin, dass „Denken“ stets im Sinne von Operieren, Reflektieren, Kombinieren „verwendet“ wird; nicht aber – richtiger – im Sinne von (vorverbalem) Vorstellen; denn das schließt das innere Anschauen, das Re-Präsentieren durch „innere Bilder“, mit ein.
Wahr ist freilich, dass ich das innere Bild als solches nicht fixieren und „behalten“ kann: nicht abspeichern und erinnern, wann immer ich wollte. Dafür müsste ich schon ein Merk-Mal aus dem jeweiligen inneren Bild herausgreifen und zum Zeichen für das Ganze machen. X steht dann für das Bild in meinem Kopf. Ich archiviere das Bild in meinem Speicher unter X. Im Katalog zum alltäglichen Gebrauch muss mir nur X ständig bereit liegen, so dass ich damit „operieren“ kann; und erst wenn ich X selber anblicke, vergegenwärtigt sich das Bild. Das heißt Symbolisieren. Die miteinander in systematischen Bedeutungszusammenhang gebrachten Symbole heißen Begriffe.
Wir denken aber nicht in Begriffen. Wir denken auch nicht logisch. Das diskursive Denken, das Begriffe in geregelten Schritten aneinander knüpft, ist lediglich kritisch. Man braucht die Logik überhaupt nicht zum Denken, sondern nur zur Prüfung des Denkens. Das wirkliche, nämlich schöpferische Denken geschieht in einer Kaskade von unfasslichen Bildern. Erst wenn ich „daraus was machen“ will – diese oder jene Handlung etwa oder eine Mitteilung an andere -, muss ich es feststellen, nämlich festhalten und bestimmen: durch ein Zeichen; am besten eins, das ich aussprechen kann.
Unsere Welt und die meine
„Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt“, sagt Ludwig Wittgenstein, aber das ist falsch. Die Grenzen unseres gemeinsamen Symbolsystems bedeuten die Grenzen unserer gemeinsamen Welt; nämlich ihrer Mittelbarkeit, und die erheischt Bestimmtheit. Meine Welt hat andere Grenzen, denn in ihr können auch Bilder vorkommen, die „nur sich selbst bedeuten“ – und daher unbestimmt bleiben dürfen. Wovon ich nicht sprechen kann, darüber muss ich nicht schweigen: Ich kann es zeigen. Denn Symbole, das heißt Bedeutungsträger für andere, können auch Bilder werden. Sie irrlichtern dann am Rande unserer Welt und illustrieren die Stelle, wo sie an meine Welt nicht mehr heranreicht: Liebe, Leidenschaft, Freiheit, Sinn, Schönheit, Grauen, Grauen, Glück, Ehre und Anstand; übrigens auch Komik und Wissen. Kein verständiger Kopf würde sie bestimmen wollen. Aber gezeigt werden sie oft und gern – in den Bildern der Kunst. Nicht zuletzt darum übrigens ist die Welt, im Unterschied zu den geschlossenen Umwelten, offen: weil in meiner Welt anderes vorkommen mag als in der der andern – und ich es ihnen zeigen kann.
Jochen Ebmeier
Der Artikel ist ein Auszug aus dem Beitrag „Das Ich und die Welt“ der aktuellen Ausgabe von Lettre International (Frühjahr 2005). Die Veröffentlichung erfolgt mit der freundlichen Genehmigung des Autors und der Zeitschrift Lettre.