Wer sieht sich wie und möchte welches Bild von sich?
Über die Selbstinszenierung in Porträtbildnissen von Jan van Eyck bis Andy Warhol
In der heutigen Mediengesellschaft, in der eine Vielzahl unterschiedlicher Medien im Wettbewerb um die Aufmerksamkeit des Zuschauers, Lesers oder Hörers miteinander konkurriert, ist Selbstinszenierung ein probates Mittel, um Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Die medialen Ausdrucksformen hierfür haben sich parallel zur Entwicklung neuer Medien in den zurückliegenden Jahren so stark demokratisiert, dass heute im Grunde jeder, der auf sich aufmerksam machen und der Öffentlichkeit ein bestimmtes Bild von sich vermitteln möchte, dies auch tun kann.
Zwar war die Selbstinszenierung von Personen von jeher Bestandteil von Portraitdarstellungen, doch erfährt sie mit Beginn der neuzeitlichen Portraitmalerei im 15. Jahrhundert eine neue Qualität. Ich möchte im Folgenden einen Blick auf die Anfänge der neuzeitlichen Porträtdarstellung werfen und ihre Entwicklung bis in die heutige Zeit verfolgen. Im Vordergrund der Untersuchung wird der Aspekt stehen, was die jeweilige Selbstinszenierung über das Bild aussagt, das der Dargestellte von sich selbst hatte und das er an eine bestimmte Community vermitteln wollte. Ich greife nur einige wenige signifikante Beispiele heraus, die mir im Zusammenhang mit den Formen von Selbstinszenierung, mit denen wir es heute zu tun haben, symptomatisch zu sein scheinen. Von den meisten Portraitbildern, die ich hier vorstelle, wissen wir, dass es sich um Auftragsbilder handelte. Obwohl wir nur in Einzelfällen, wie etwa dem Reiterporträt Napoleons von Jacques Louis David, Kenntnis davon haben, dass der Auftraggeber mit der Art der bildlichen Repräsentation in hohem Maße einverstanden war, können wir bei einem Auftragsporträt grundsätzlich davon ausgehen, dass es weitgehend mit dem Bild identisch war, das der Dargestellte von sich selbst hatte und mit der Porträtdarstellung vermitteln wollte.
Es wird bewusst darauf verzichtet, die großartigen Künstlerselbstporträts, die das Genre im Laufe der Jahrhunderte hervorgebracht hat, angefangen von den rätselhaften Selbstbildnissen Rembrandts im Kostüm bis zu den einzigartigen Selbstzeugnissen Cézannes und Max Beckmanns, in diese Untersuchung mit einzubeziehen. Anders als die gleichzeitigen Bürgerportraits künden diese Künstlerportraits nicht vom neuen Selbstbewusstsein einer aufgestiegenen Schicht, sondern sind Ausdruck eines existenziellen Staunens dem Kosmos, dem eigenen Leben und der Zeit und Umwelt gegenüber, in der die Künstler lebten.
Die hier besprochenen Bilder kann man, um einen Begriff meines Lehrers Hans Sedlmayr zu verwenden, als ‚kritische Formen’ ihrer Zeit bezeichnen. Der methodische Ansatz der kritischen Form ermöglicht es, für die Analyse von Kunstwerken die „weit verzweigten Phänomene aus einem Quellpunkt, welcher das einheitsstiftende Zentrum von sonst nur als unzusammenhängenden, hinzunehmenden Faktoren aus Kunst- und Kulturgeschichte ist“, heranzuziehen. Dabei kann durchaus auch auf „niedrige Formen“ künstlerischer Artikulation zurückgegriffen werden.1 Insbesondere Letzteres ermöglicht es relativ unkompliziert einen Bezug zu heutigen Formen personaler Repräsentation herzustellen.
Inszeniertes Selbstbewusstsein einer aufgestiegenen Klasse
Ich möchte mit einem Bild aus den Anfängen der neuzeitlichen Porträtkunst beginnen, das mir für alles, was sich mit dieser Bildform an neuen Ausdrucksmöglichkeiten verbindet, bezeichnend zu sein scheint: Jan van Eycks „Mann mit Turban“ von 1432.
Das Bild wird von der neueren Forschung allgemein als Selbstbildnis des Künstlers angesehen. Hans Belting und Christiane Kruse schreiben über das Bild, der Blick des Dargestellten sei so selbstbewusst und forschend, dass man sich ihm kaum entziehen könne2, und die Kopfbedeckung, ein massiger roter Turban mit „bizarrem Gefält“, spreche „von der Eitelkeit des Künstlers bei der Selbstdarstellung“. Das Porträt Jan van Eycks, den Hans Belting zusammen mit Rogier van der Weyden für die Erfindung des Gemäldes als selbstständiger Kunstgattung verantwortlich sieht, legt eindrucksvoll Zeugnis ab vom neuen Selbstbewusstsein einer aufgestiegenen bürgerlichen Schicht und ihres Anspruchs, dieses im Porträtbild zum Ausdruck zu bringen.
Die Zeit zwischen 1400 und 1450, in der das neuzeitliche Tafelbild entstand, ist von zwei unterschiedlichen künstlerischen Strömungen geprägt: In Italien schafft Leon Battista Alberti mit seinen grundsätzlichen Überlegungen zur Malkunst die theoretischen Grundlagen für zukünftige perspektivische Darstellungen; in den Handelsstädten Gent und Brügge, die mit Italien enge Handelsbeziehungen pflegen, so dass neue künstlerische Ideen schnell exportiert werden, entsteht gleichzeitig eine ganz neue Realität bildlicher Darstellung. Belting und Kruse sehen in der Verschmelzung von beidem, der schematischen innerbildlichen Ästhetik Italiens und dem Weltbezug der neuen bürgerlichen Kultur des Nordens, die Voraussetzung für die Erfindung des Gemäldes als selbständiger Kunstgattung. Das Porträtbild gilt ihnen als Symbol einer gemalten Anthropologie, in der sich die innere und die äußere Sicht von Welt vereinigen.3
Das neuzeitliche Porträt, wie es das Selbstbildnis Jan van Eycks verkörpert, bildet sich in der wechselseitigen Spannung zwischen etabliertem Adel und aufsteigenden Bürgerschichten heraus. Wer aufgestiegen war, hatte sich das Recht auf ein eigenes Bildnis erworben, welches in früheren Zeiten allein den Heiligen vorbehalten gewesen war. Ich möchte im Folgenden anhand einiger weniger ausgewählter Beispiele zeigen, wie die jeweils neu aufsteigenden sozialen Schichten die Repräsentationsform des Porträts dazu benutzten, ihren Anspruch auf Macht und Status augenfällig zu machen, wie das gemalte Porträtbild durch die Erfindung der Fotografie diese Funktion einbüßte und wie die Aufgaben des Porträts mit der Demokratisierung der Selbstinszenierung in der Mediengesellschaft von anderen medialen Ausdrucksformen übernommen werden.
Albrecht Dürers bekannter Porträtstich des Erasmus von Rotterdam erfüllt den neuen Anspruch des bürgerlichen Porträts, inszeniertes Imago einer Person zu sein, perfekt: Es ist einerseits Abbild und als solches dem Erasmus ähnlich, repräsentiert aber in der Art, wie es den großen Humanisten in Szene setzt, gleichzeitig auch dessen persönliche wie kulturhistorische Bedeutung (Abb.2). 4
Dürer zitiert zu diesem Zweck das Studiolo-Motiv, wie wir es von vielen Hieronymusdarstellungen kennen, und kennzeichnet die dargestellte Person damit als Gelehrten. Die verwendete Technik des Kupferstichs, die neben dem Holzschnitt das erste Bildmedium war, das auf einfache Art Vervielfältigungen ermöglichte, lässt darauf schließen, dass das Porträtbild dazu gedacht war, ein bestimmtes Bild des Humanisten an eine interessierte Öffentlichkeit zu vermitteln. Die gerahmte Schrifttafel neben Erasmus liefert eine zusätzliche Erklärung, wie das Bild zu lesen ist: Der Künstler trennt imago und effigies des Erasmus und weist den Betrachter in lateinischer und griechischer Sprache darauf hin, dass sich das eigentliche Bild des Erasmus nur aus dessen Schriften erschließt, die im Vordergrund des Bildes ausgelegt sind.
Ein exzellentes Beispiel dafür, mit welchem hohen Anspruch sich die aufgestiegene bürgerliche Schicht der Kaufleute porträtieren ließ, ist Hans Holbeins Porträt des Kaufmanns Georg Gisze von 1532 (Abb.3).
Es gibt in diesem Bildnis eines stolzen jungen Mannes kein Detail, das nicht in Verbindung mit dessen Anspruch auf Repräsentation seiner gesellschaftlichen Stellung zu sehen wäre, angefangen vom orientalischen Teppich über die Vase mit Nelken und Rosmarin, die zierliche Waage, die goldene Dosenuhr bis hin zum Handstempel mit dem Kaufmannszeichen. 5
Gisze wird damit zum Mercator doctus, einem Kaufmann auf der Höhe seiner Zeit. Er war in Danzig geboren, wollte sich aber als erfolgreicher Händler am Handelsplatz London darstellen lassen, um dem dortigen ‚inner circle’ der Kaufleute ein bestimmtes Bild von sich zu vermitteln. Die Verträge und die zahlreichen anderen Objekte, die den Kaufmann umgeben, verfolgen vorrangig den Zweck, ihn als Person von hoher Kredibilität in Geldfragen sowie als guten Kenner der globalen Märkte auszuweisen. Dies war zur Regierungszeit Heinrichs VIII. insofern von großer Wichtigkeit, als sich zu dieser Zeit die erste Globalisierung vollzog.
Die Inszenierung des aufgestiegenen Bürgertums bringt mit dem holländischen Gruppenporträt noch eine weitere Bildgattung hervor.6 Ein herausragendes Beispiel dafür ist Rembrandts De Staalmeesters von 1662, das als eines von sechs Gruppenporträts der Mitglieder der Tuchhändlerzunft im großen Saal dieser Zunft in Amsterdam hing (Abb.4).7
Mit diesem Bildtypus ist in der bürgerlichen Gesellschaft Hollands etwas entstanden, das im Europa des Absolutismus eine absolute Ausnahmeerscheinung war: Der Einzelne wird als Mitglied einer gleich gesinnten Gruppe dargestellt und repräsentiert innerhalb dieser Gruppe ihr „imaginäres, ideales Bild, das Bild einer harmonischen konfliktfreien Verbindung von Individuen und Gemeinschaft“.8 Die neue erfolgreiche Elite fühlt sich am stärksten in der Gruppe und setzt mit dem Typus des Gruppenbildes das bürgerliche Selbstbewusstsein gegen die absolutistische Hofgesellschaft.
Theatralische Pose im Portrait absolutistischer Herrschaft
Etwa zur gleichen Zeit, in der Rembrandt in der Bürgerstadt Amsterdam die Staalmeesters porträtierte, informierte der 23 Jahre alte König Ludwig XIV. in Paris seine Minister davon, dass er von nun an die Staatsgeschäfte selbst in die Hand nehmen und auch selbst als erster Minister des Staates fungieren werde. Entsprechend seinem Wahlspruch „In meinem Herzen ziehe ich den Ruhm allem anderen vor“ ließ er sich später von Hyacinthe Rigaud in der Pose des absolutistischen Herrschers porträtieren (Abb. 5).9
Das Bild zeigt den Herrscher in seinem 63. Lebensjahr in einer Pose, die seinen absoluten Machtanspruch perfekt ausdrückt: Er ist umhüllt von den schweren Stoffmassen des königlichen Krönungsornats in Bleu Royal mit den Lilien Frankreichs, ein Fuß ist leicht vorgesetzt, die rechte Hand liegt auf dem Szepter, die linke auf dem Schwert. Eine wahrhaft königliche Haltung und ein Auftritt, wie er prunkvoller kaum vorstellbar ist. Der Charakter der großen theatralischen Inszenierung, den das Bild vermittelt, wird noch unterstrichen durch die gewaltige Vorhangkulisse, vor der der König posiert, und durch das wie von einem Scheinwerfer direkt von vorne kommende Licht.
Ähnlich theatermäßig, aber zusätzlich auch noch auf die Tradition des imperialen Reiterstandbildes rekrutierend, porträtiert 100 Jahre später Jaques Louis David den 31-jährigen Napoleon Bonaparte, der zu dieser Zeit die Herrschaft des Revolutionsdirektoriums durch einen Putsch beendet und sich selbst als Ersten Konsul an die Spitze des Staates gesetzt hatte (Abb. 6).10
Das Bild zeigt Napoleon mit wallendem Umhang auf einem sich aufbäumenden Schimmel. Die rechte Hand zeigt in die Richtung der Passhöhe des großen St. Bernhard, die es mit einem Heer von 30.000 Mann zu überwinden gilt. Auf der Felsenplatte in der linken unteren Ecke sind neben seinem eigenen auch die Namen seiner großen Vorbilder Hannibal und Carolus Magnus in den Stein gehauen. Der Überlieferung nach hat Napoleon die Alpen zwar nicht auf dem Rücken eines edlen Pferdes überquert, das den Strapazen der eisigen Kälte auf dem Übergang auch kaum gewachsen gewesen wäre, sondern auf einem Maultier. Doch ging es in Davids Bildnis auch nicht um die exakte Darstellung der Passüberschreitung, die tatsächlich eine heroische Leistung war und dem französischen Heer den Sieg über die Österreicher einbrachte, sondern das Reiterportrait Napoleons sollte dessen politischen Machtanspruch als Erster Konsul repräsentieren. In den Augen Napoleons hatte David mit diesem Bild eine derart überzeugende Ausdrucksform für sein herrscherliches Selbstverständnis gefunden, dass er sogleich drei Repliken in Auftrag gab.
Übernahme der Repräsentationsfunktion des Portraitbildes durch die Fotografie
Die große Zeit der Portraitmalerei, die mit Davids großartigem Napoleonbild nochmals einen einsamen Höhepunkt erfuhr, war zu dieser Zeit eigentlich schon vorbei. Wir befinden uns im Zeitalter des technologischen Fortschritts, der auch im Bereich der Porträtmalerei tiefe Spuren hinterlassen wird. Im Jahr 1826 gelingt Nicéphore Niépce in Chalon-sur-Saône nach einer Belichtungszeit von acht Stunden die weltweit erste Fotografie.11 Diese Erfindung wird zu einem Desaster für die französischen Porträtmaler. Man schätzt, dass zu dieser Zeit allein in Paris etwa 20.000 Maler von dieser Tätigkeit lebten. Davon wurde im Verlauf der nächsten 15 Jahre mehr als die Hälfte arbeitslos. Die Menschen, die sich porträtieren lassen wollten, hatten das Gefühl, dass die Fotografie die bildliche Repräsentation, die sie von sich sehen wollten, getreuer wiedergeben konnte als die Malerei. Fortan gab es immer weniger Menschen, die sich noch von einem Maler porträtieren lassen wollten, zumal sich die Technik der Porträtfotografie so rasch weiter entwickelte, dass bereits im Jahr 1841 in Paris die erste größere Ausstellung von Porträtfotografien stattfinden konnte.
Zahlreiche figurative Bildnisse von Eugène Delacroix bis zu Edouard Manet und Paul Cézanne, wie sie in den folgenden Jahrzehnten entstanden, legen beredtes Zeugnis ab von der Suche der Maler nach neuen Aufgaben für die figurative Malerei. Einen trickreichen Sonderweg beschritt der Münchner Malerfürst Franz von Lenbach, dessen Porträts des Reichskanzlers Bismarck eine gelungene Symbiose aus Fotografie und Malerei darstellen. Lenbach, der die Bismarck’schen Konterfeis mit einem Zug des Genialen versah, traf mit diesem Darstellungstypus genau den Zeitgeschmack. Seine Bilder, die in Form von Postkarten und Sammelmappen regelrecht vermarktet wurden, sprachen von der politischen Größe eines großen Mannes in einer großen Zeit.
Die Entdeckung neuer Qualitäten in der Portraitmalerei des 20. Jahrhunderts
Das Kunstwollen im Riegel’schen Sinne ging ab 1900 jedoch in eine ganz andere Richtung. Mit einer neuen Künstlergeneration und den Bildern von Gustav Klimt, Egon Schiele, Oskar Kokoschka, den französischen Fauves und den Dresdener Brücke-Künstlern, allen voran Ernst Ludwig Kirchner, nahm das Porträtbild einen neuen Aufschwung und entwickelte Qualitäten, die es weit von den – damals noch sehr beschränkten- Möglichkeiten der Fotografie entfernten. Am erfindungsreichsten bei der Behandlung des Genres war Pablo Picasso, der alles ausprobierte, was es an malerischen Möglichkeiten für die Darstellung von Personen gab, und zu so unterschiedlichen Lösungen wie dem Bildnis der Gertrude Stein von 1906 und dem Bildnis der Dora Maar von 1941 gelangte.
Welche Schwierigkeiten sich generell mit dem Schwinden des Realismus für das Tafelbild als Mittel personaler Repräsentation ergaben, verdeutlicht ein Blick auf das Porträt, das Georg Meistermann von dem damaligen Bundeskanzler Willy Brandt anfertigte (Abb. 7).12 Das Bild stellt eine ‚kritische Form’ des repräsentativen Porträts dar, insofern es zwar repräsentativ für das Kunstwollen einer bestimmten Zeit ist, jedoch so gut wie keinen sichtbaren Bezug zu Person und Bedeutung des Dargestellten mehr erkennen lässt. Nach allem, was aus der Umgebung Willy Brandts damals zu hören war – er selbst hat sich zu dem Bild niemals offiziell geäußert -, konnte er mit seinem blutroten, fast abstrakten Konterfei wenig anfangen. Sein Nachfolger Helmut Schmidt ließ das Bild aus der Kanzleramtsgalerie entfernen, und Helmut Kohl ließ es durch ein realistisch gemaltes Konterfei von Brandt ersetzen.
Die Neuerfindung der Portraitdarstellung durch Andy Warhol
Zur gleichen Zeit, als Meistermann sein ungeliebtes Kanzlerporträt fertigte, erfand Andy Warhol die Gattung des Porträts noch einmal neu und entwickelte dafür eine Bildtechnik, die die Technik des fotografischen Abbildes mit der Siebdrucktechnik und Übermalungen in Acryl verknüpfte. Seine Bilder, die dem Dargestellten die Aura von Ikonen verliehen, wurden zum verbindlichen Porträttypus einer neu aufgestiegenen internationalen Gesellschaft von „Celebrities“. Warhols spezielles Interesse galt der Erfahrung von Wirklichkeit, wie sie sich in den Bilderwelten der Massenmedien widerspiegelt. Dabei interessierte ihn insbesondere der Mythos vergangener und gegenwärtiger Hollywoodstars wie Greta Garbo, Elizabeth Taylor und Marilyn Monroe, mit dem der junge Warhol in der Kleinstadt aufgewachsen war.
Das bildliche Repertoire des Starkults hatte sich erstmals in den 30er Jahren mit den neuen Stars des Tonfilms wie Greta Garbo, Marlene Dietrich oder Jean Harlow herausgebildet. Warhol war fasziniert von der Durchgängigkeit des Aufbaus und der Inszenierung von Starportraits, wie sie sich, abgesehen von unwesentlichen Änderungen, bis heute erhalten haben. Die Bildvorlagen, nach denen er seine Siebdrucke fertigte, gewann er aus Film Stills (z.B. Greta Garb als Mata Hari), Illustriertenfotos und den Bildseiten der Boulevardzeitungen, die aktuell über Ereignisse aus dem Leben von Filmstars berichten.13
Die ikonischen Portraitbilder im Stil der Starportraits, die Warhol von Celebrities der internationalen Gesellschaft herstellte, fanden großen Zuspruch. Warhol hatte damit offenbar einen Nerv der Zeit getroffen. Die Art und Weise, wie er Menschen mit technischen Mitteln ins Bild setzte, übte aber auch großen Einfluss auf die Werbung aus. (siehe Andy Warhol, Greta Garbo als Mata Hari, 1981)
Die Demokratisierung bildlicher Repräsentationsformen in der Mediengesellschaft
Der Drang zur bildlichen Repräsentation ist bis heute ein wichtiges Motiv geblieben, doch spielen die Malerei wie die bildende Kunst insgesamt dafür keine Rolle mehr. Für die Mitglieder der Mediengesellschaft zählt nur noch, wann und wie oft sie in welchen Medien vorkommen und wie häufig sie dort zitiert werden. Anlass und Zweck können dabei sehr verschieden sein. Der Schauspieler auf der Titelseite der Fernsehzeitschrift soll die Einschaltquote einer bestimmten Sendung erhöhen. Dem Politiker, der Gast in den Talksendungen von Johannes B. Kerner bis Sabine Christiansen ist, geht es um die eigenen Popularitätswerte. Der Romanautor, dessen neues Buch in einer Fernsehsendung vorgestellt wird, erhofft sich dadurch einen zusätzlichen Verkauf von Büchern.
„Images need to be shared“, davon war Andy Warhol zutiefst überzeugt. Je bekannter dein Gesicht ist, desto höher sind dein Marktwert und die damit verbundene persönliche Rendite in der neuen Ökonomie der Aufmerksamkeit. Heutige Zwanzigjährige stellen sich, um ihre persönliche Bedeutung auszutesten, gegenseitig die Frage nach der Anzahl der Einträge, die sie bei Google haben. Auch Fragen wie „Wieviele Menschen lesen meinen Weblog und mailen mir zurück?“ oder „Wieviele Fotos von mir sind auf Flickr?“ zielen auf Darstellung und Vermittlung der eigenen Rolle und Bedeutung. Entsprechend gibt es mit der Suchmaschine A9.com nun auch ein Werkzeug, das alle Texte und Bilder im Internet findet, die über eine Person in Magazinen, Zeitungen, Blogs, Büchern, Filmen etc. veröffentlicht wurden.
Die Grenzen zwischen öffentlich und privat verwischen zunehmend. Dabei können neue Medien alte Funktionen übernehmen, wie die großen Bildtafeln mit den Werbeporträts bekannter Persönlichkeiten zeigen, die sich weltweit in allen großen Städten finden. Wenn man will, kann man darin eine weitläufig Fortsetzung der Fassadenmalerei der Renaissance sehen mit dem großen Unterschied, dass mit den heutigen Fassadenbildern Werbeeinnahmen generiert werden. Das Porträtfoto der Prominenten ist zum Werbeträger geworden, der die Aufmerksamkeit auf eine Marke, ein Produkt lenkt und dieses wertvoll und begehrenswert machen soll. Die Sportartikelfirma Adidas, Einkleider der deutschen Fußballnationalmannschaft, schaltete während der Fußballweltmeisterschaft Porträtbilder der für sie werbenden Fußballstars Michael Ballack, Oliver Kahn und David Beckham sowohl im Fernsehen wie in den Print- und Onlinemedien und zeigte sie außerdem auch noch in Form riesiger Outdoor-Poster (Abb. 10). Die geschätzten Kosten von 500 Millionen Euro, die für diese Kampagne aufgewendet wurden, machen deutlich, wie hoch der Einfluss von Prominentenköpfen für Image und Umsatz einer Marke heute eingeschätzt wird.
Mehr als zweitausend Jahre, nachdem mit Augustus erstmals ein Herrscher mittels der Technik der Münzprägung sein Porträt unter die Menschen brachte, sind die Möglichkeiten äußerst vielfältig geworden, das eigene Bild an die Öffentlichkeit zu kommunizieren. Printmedien, Fernsehen und Internet sind eine enge Verbindung eingegangen und haben das Motto der Hippiegeneration aus dem San Francisco der späten 1960er Jahre „Expose yourself!“ Wirklichkeit werden lassen. Heute kann jeder, der will, auf sich aufmerksam machen und mit Hilfe des Internets zum multimedialen Medienproduzenten werden. Auf der Videoplattform YouTube.com waren ein Jahr nach dem Start gemäß des Mottos der Plattform „Broadcast yourself“ bereits 40 Millionen persönliche Kurzvideos abgelegt, die jedem Besucher der Plattform zugänglich sind. Das Porträt, mit dem sich die neu aufgestiegenen bürgerlichen Schichten im 15. Jahrhundert ihren Wunsch nach Repräsentation erfüllten, hat im Verlauf der folgenden Jahrhunderte so manche Veränderung erfahren. Sie hingen einerseits mit dem gesellschaftlichen Fortschritt, andererseits mit technologischen Innovationen zusammen. Was hingegen alle Veränderungen überdauert hat, ist der in Portraitbildern angelegte Repräsentationsanspruch aufstrebender Schichten. Dieser kann als Wegweiser für sich entwickelnden Porträtformen des 21. Jahrhunderts dienen.
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1 Methoden der Kunstgeschichte - Zu drei Vorträgen von Hans Sedlmayr, in: Salzburger Museumsblätter 36, 2, 1975, 5f.
2 Hans Belting/Christiane Kruse, Die Erfindung des Gemäldes, München 1994, 151.
3 Belting/Kruse 1994 (wie Anm. 2), 51.
4 Jörg Robert: Evidenz des Bildes, Transparenz des Stils. Dürer, Erasmus und die Semiotik des Portraits, in: Frank Büttner/ Gabriele Wimböck (Hrsg.), Das Bild als Autorität. Die normierende Kraft des Bildes, Münster 2004, 205-226; vgl. auch Erwin Panofsky: Das Leben und die Kunst Albrecht Dürers, München 1977; Albrecht Dürer: Das Druckgraphische Werk, bearb. v. Rainer Schoch/ Mattias Mende/Anna Scherbaum, Bd. 1, Kupferstiche, Eisenradierungen und Kaltnadelblätter, München 2001.
5 Oskar Bätschmann/Pascal Griener: Hans Holbein, Köln 1997, 181 ff; Kat. Hans Holbein the Younger. 1497/98 – 1543. Portraitist of the Renaissance, Royal Cabinet of Paintings Mauritshuis, The Hague, Zwolle 2003, 24-26.
6 Alois Riegl: Das holländische Gruppenportrait, Wien 1931..
7 Gary Schwartz: Rembrandt. His Life, his Paintings, New York 1985, 336f.; Kenneth Clarke: An Introduction to Rembrandt, London 1978, 111ff.; Otto Pächt: Rembrandt, München 1991.
8 Daniela Hammer-Tugendhat: Rembrandt und der bürgerliche Subjektentwurf. Utopie oder Verdrängung?, in: Ulrich Bielefeld/ Gisela Engel (Hrsg.), Bilder der Nation. Kulturelle und politische Konstruktion des Nationalen am Beginn der europäischen Moderne, Hamburg 1998, 154 – 178.
9 Stéphan Perreau: Hyacinthe Rigaud 1659 – 1743.Le peintre des rois, Montpellier 2004.
10 Warren Roberts : Jacques-Louis David. Revolutionary Artist. Art, Politics, and the French Revolution, Chapel Hill 1989, 129 ff.; Kat. Jacques-Louis David. Empire to Exile, J. Paul Getty Museum/ Sterling and Francine Clark Institute, Los Angeles/ Williamstown Mass. 200, hrsg. v. Philippe Bordes, New Haven u.a. 2005, 83-91.
11 Michel Frizot (Hrsg.): Nouvelle histoire de la photographie, Paris 2001, 20 f.; Walter Koschatzky: Die Kunst der Photographie. Technik, Geschichte, Meisterwerke, Salburg 1984, 47- 56.
12 Jutta Held: Zum Politikerportrait um 1970. Georg Meistermann malt Willy Brandt, in: Das Regime als Image. Zwischen mimischen Display und Corporate Branding, Wabern-Bern 2003, 170 – 198; Karl Ruhrberg/Werner Schäfke (Hrsg.): Georg Meistermann. Monographie und Werkverzeichnis, Köln 1991.
13 Vincent Lavoie: Le dernier tabloid. Image de presse et culture médiatique dans l’œuvre d’Andy Warhol, in: Etudes photographiques 4/1998, 101-119; Frayda Feldman/ Jörg Schellmann (Hrsg.): Andy Warhol Prints. A Catalogue Raisonné 1962 – 1987, New York 2003, insbes. 179 ; David Bourdon : Warhol, New York 1989, 124 ff.
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Bildnachweis:
Abb. 1: Jan van Eyck, Mann mit Turban, 1432, Öl auf Holz, 25,7 x 19 cm, London, National Gallery
Abb. 2: Albrecht Dürer, Erasmus von Rotterdam, 1526, Kupferstich, 24,9 x 19,3 cm, Wien, Albertina, in: Albrecht Dürer. Das graphische Werk, Wien/München 1964, 107
Abb. 3: Hans Holbein, Bildnis des Kaufmanns Georg Gisze, 1532, Eichenholz, 97,5 x 86 cm, Berlin, Gemäldegalerie, SMPK Berlin
Abb. 4: Rembrandt, De Staalmeesters, 1662, Öl auf Leinwand, 191,5 x 279 cm, Amsterdam, RijksmuseumRijksmuseum, Amsterdam; Abb. 5: Louvre, Paris
Abb.5 : Hyacinthe Rigaud, Ludwig XIV., 1701, Öl auf Leinwand, 277 x 194cm, Paris, Louvre
Abb. 6: Jaques Louis David, Napoleon beim Übergang über den Großen St. Bernhard, 1800, Öl auf Leinwand, 260 x 221 cm, Rueuil-Malmaison, Musée national des Châteaux de Malmaison et Bois Préau
Abb. 7: Georg Meistermann , Willy Brandt, 1978, Öl auf Leinwand, Berlin, Landesvertretung Nordrhein-Westfalen, Berlin
Abb. 8: Outdoor-Werbung mit Oliver Kahn für die Firma Adidas, 2006, München, Flughafen, www.marketing-blog.biz/blog/archives/396-Getunnelt.html